In Episode 119 des Smart Innovation Podcast unterhält sich Klaus Reichert mit Dieter Seifried über die Entstehung und Entwicklung der Energiewende in Deutschland. Er ist Co-Autor von „Die Energiewende ist möglich“ (erschienen 1985). Zusammen mit Peter Hennicke, Jeffrey P. Johnson und Stephan Kohler beschreibt er in dieser frühen Studie des Öko-Institut die Möglichkeiten einer Energiewende, vor allem im Bereich der Kommunen, auch anhand greifbarer Beispiele. Die Autoren bauen dabei auf der Vorgängerstudie „Energie-Wende“ des Öko-Institut e.V. auf, inspiriert von den Arbeiten von Amory Lovins (Rocky Mountain Institute) und den „Grenzen des Wachstums“ vom Club of Rome (1972).
Inhaltsverzeichnis
Auslösen einer Bewegung
Warum eine Episode über die Entstehung und Entwicklung der Energiewende? Die Notwendigkeit für Innovation und Transformation in weiten Teilen unseres Lebens entsteht aufgrund des Klimawandels mit seinen zunehmend spürbaren Auswirkungen. Ein zentraler Teil ist unser Umgang mit Energie, auf gesellschaftlicher und individueller Ebene. In diesem Bereich hat die Energiewende schon vieles auf den Weg gebracht. Am Anfang standen Beobachtungen von Menschen, die bereit waren, neue Wege zu gehen. Ausgestattet mit Wissen und neuen Ideen haben sie mit ihrer Arbeit eine Bewegung ausgelöst.
Über Dieter Seifried
Dieter Seifried ist Dipl.-Ing. und Dipl.-Volkswirt. Er ist Gründer und langjähriger, mittlerweile ehemaliger Geschäftsführer des Büro Ö-Quadrat in Freiburg. Im Laufe seines Lebens war er zudem Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg und unterrichtete dort das Fach Energieeffizienz und energiepolitische Rahmenbedingungen. Weiterhin ist er tätig bei der ADEV Windkraft AG, beim Wirtschaftsverband 100 Prozent Erneuerbare Energien und bei der Genossenschaft fesa-Energie Geno e.G. Von 1983 bis 1999 war er Mitarbeiter, Koordinator und Projektleiter am Öko-Institut. Klimaverträgliche Konzepte für die Energiewende, Least-Cost Planning, Contracting und „Grüner Strom“ standen im Mittelpunkt seiner Arbeiten. (Wikipedia)
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Zusammenfassung
Im Gespräch reflektiert Dieter Seifried, ein erfahrener Experte der deutschen Energiewende, den historischen Kontext und die aktuellen Herausforderungen dieser Transformation. Die Energiewende begann bereits in den 1970er Jahren mit einer kritischen Auseinandersetzung zur Atomkraft und der zunehmenden Bedeutung von Umwelt- und Ressourcenschutz. Seifried betont, dass die Notwendigkeit einer Transformation in der Energieversorgung durch Berichte wie den des Club of Rome und den „Soft Energy Paths“ von Amory Lovins international ins Bewusstsein rückte. Das Öko-Institut, an dem Seifried arbeitete, spielte hierbei eine zentrale Rolle, indem es Alternativen zur Atomenergie und Konzepte für eine dezentrale und nachhaltige Energieversorgung entwickelte.
Dieter Seifried beschreibt den Wandel der Energieversorgung von zentralen, fossilen Strukturen hin zu dezentralen, erneuerbaren Energien. Diese Entwicklung forderte große Innovationen und neue Technologien, etwa in der Steuerung dezentraler Stromerzeugungseinheiten. Die Einführung erneuerbarer Energien führte in Deutschland schließlich zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das die Förderung von Solar- und Windenergie regulierte. Dadurch wurde die Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energien möglich und förderte die Klimaschutzbestrebungen des Landes. Seifried verdeutlicht, dass die Herausforderungen jedoch weiterhin bestehen, da die Transformation zur CO₂-neutralen Wirtschaft politisch und gesellschaftlich ausgehandelt werden muss.
Das Gespräch illustriert, wie die Energiewende die Sichtweise auf Energie verändert hat: Von der Stromversorgung hin zu einem komplexen Zusammenspiel aus Versorgungssicherheit, Umweltschutz und sozialer Akzeptanz. Die Dezentralisierung und der Ausbau erneuerbarer Energien seien nicht mehr umkehrbar, jedoch bestünde immer die Gefahr von Verzögerungen durch politische oder wirtschaftliche Interessen. Seifried plädiert für eine klare und transparente Kommunikation der Ziele und Notwendigkeiten der Energiewende, um Missverständnisse und Falschinformationen in der Öffentlichkeit zu vermeiden.
Insgesamt bietet das Gespräch wertvolle Einblicke in die Geschichte und Zukunft der deutschen Energiewende, die als entscheidender Beitrag zum Klimaschutz und als Modell für andere Länder dient. Die Transformation ist auf einem guten Weg, bedarf aber kontinuierlicher Innovation und Anpassung, um die angestrebten Klimaziele zu erreichen.
Links zur Entstehung der Energiewende
- „Die Grenzen des Wachstums“, Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1972
- Soft Energy Paths, Amory Lovins, Rocky Mountain Institute bzw. Sanfte Energie : das Programm für die energie- und industriepolitische Umrüstung unserer Gesellschaft (1978)
- Energie-Wende : Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran (1980), Florentin Krause, Hartmut Bossel, Karl-Friedrich Müller-Reißmann (PDF), Öko-Institut e.V.
- Die Energiewende ist möglich (1985), Öko-Institut e.V.
- Gute Argumente Energie (1986), Öko-Institut e.V.
- Faktor Vier: doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch ; der neue Bericht an den Club of Rome (1995), Ernst Ulrich von Weizsäcker, Amory B. Hunter, L. Hunter Lovins, Wuppertal Institut
- Interview mit Amory Lovins über den Fortschritt bei der Energiewende
- Entwicklung der Energiewende in der Übersicht des Öko-Institut samt Verlinkungen vieler weiterer Studien und Bücher zum Thema
- Erläuterung EU Energiebinnenmarkt
- Energiesparen an Schulen (1997) – vollkommen ausser Konkurrenz, gehört irgendwie aber trotzdem für mich dazu :)
Video Lovins on the Soft Paths
Video Halbzeit Energiewende
Ein Infofilm des Öko-Instituts aus dem Jahr 2015
Transkript
Das Transkript wurde manuell erstellt.
Klaus Reichert: Die Energiewende findet statt – ein Rück- und Ausblick mit Dieter Seifried. Dieter Seifried ist Diplomingenieur und Diplom-Volkswirt. Er ist Gründer und langjähriger, mittlerweile ehemaliger Geschäftsführer des Büro Ö-quadrat in Freiburg. Im Laufe seines Lebens war er zudem Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg und unterrichtete dort das Fach Energieeffizienz und energiepolitische Rahmenbedingungen.
Weiterhin ist er tätig bei der ADEV Windkraft AG, beim Wirtschaftsverband 100 Prozent Erneuerbare Energien und bei der FESA Energie Genossenschaft eG. Von 1983 bis 1999 war er Mitarbeiter, Koordinator und Projektleiter am Öko-Institut, klimaverträgliche Konzepte für die Energiewende, Least Cost Planning, Contracting und grüner Strom standen im Mittelpunkt seiner Arbeiten.
Dieter Seifried ist Co-Autor des Buches „Die Energiewende ist möglich – für eine Energiepolitik der Kommunen“ aus dem Jahr 1985.
Herzlich willkommen, Dieter. Ich freue mich sehr, dass du dir die Zeit für unser Gespräch nimmst heute.
Dieter Seifried: Gerne.
Klaus Reichert: Dieter, Studium der Kraftwerkstechnik und der Betriebswirtschaftslehre, das hört sich nach einem Karrierepfad in der Stromindustrie an. Du warst mit dieser Ausbildung eigentlich der Traumabsolvent für ein Unternehmen wie Siemens oder das Badenwerk und doch bist du beim Öko-Institut gelandet. Wie kam das?
Dieter Seifried: Ja, auf mehreren Umwegen. Ich war der Traumkandidat meiner damaligen Freundin, der ich nach Freiburg gefolgt bin nach dem Studium. Und das war 1973, dort habe ich zunächst keine Arbeit gefunden, da gab es auch nur einen Energieversorger, der dafür infrage gekommen wäre. Und daraufhin habe ich Volkswirtschaftslehre an der Universität in Freiburg studiert. Später oder während meines Studiums schon hatte ich dann Seminare mit Zivildienstleistenden gemacht zum Thema Entwicklungspolitik und habe dort Spaß gewonnen am Unterrichten. Hat dazu geführt, dass ich mich für das Lehramt an gewerblichen Schulen beworben hatte, bin Referendar geworden für das Lehramt und habe das auch abgeschlossen. Dann allerdings sollte ich meine erste Stelle antreten auf der Schwäbischen Alb. Und zum gleichen Zeitpunkt wurde mein Sohn geboren und das hat sich irgendwie ausgeschlossen. Und von daher habe ich dann meine Schulkarriere, kaum dass sie begonnen war, auch schon wieder beendet und habe mich dann mit Lehraufträgen über Wasser gehalten, ein Jahr lang, um dann beim Öko-Institut anzuheuern.
Klaus Reichert: Die Idee kam dir nicht, dass du zum Beispiel bei diesem Energieanbieter dann arbeiten würdest, mit dieser Ausbildung?
Dieter Seifried: Die Idee nicht insofern, weil ab 1973 war ich auch in der Anti-AKW-Bewegung aktiv. Und ja, wenn man erstmal in dieser Bewegung mit drinsteckt, ist man, glaube ich. auch für die Energieversorger kein interessanter Ansprechpartner mehr.
Klaus Reichert: Jetzt kam dann so Anfang, Mitte der 70er der Bericht des Club of Rome zum Beispiel auf. Es gab dann aus den USA „Soft Energy Paths“ von Emery Lovins als Buch. Das sind ja Themen, die du dann durch das Studium und durch die Beschäftigung mit dem Thema Energie, mit aufgenommen hast. Wie kam das damals bei dir an? Das waren ja zum Teil, na ja, da wurde mit irgendwelchen Wahrheiten oder Lebensrealitäten schon in gewisser Weise aufgeräumt auf der einen Seite und auf der anderen Seite kamen neue Blickwinkel auf das Thema Energie mit drauf, die so ganz anders waren wie das, was man bisher gewohnt war.
Dieter Seifried: Genau, also während des Studiums habe ich davon gar nichts mitbekommen, sondern erst in der Phase der Politisierung ab 1975 habe ich anderes Wissen mir angeeignet. Und letztendlich habe ich auch erst während der Arbeiten beim Öko-Institut gelernt, dass man nicht alles glauben darf, was schwarz-weiß auf Papier steht, sondern dass man sich seinen eigenen Hintergrund bilden muss und kritisch die Dinge betrachten muss. Das Öko-Institut war für mich eine sehr wichtige Lehr- und Lernzeit, weil mit den Kollegen zusammen haben wir sehr viel diskutiert, hinter vieles, was offizielle Politik war, was offiziell eine Wissenschaft war, ein Fragezeichen gemacht und festgestellt, dass eben doch sehr vieles, was die Energiewirtschaft von sich gegeben hat, damals nicht korrekt war, also wissenschaftlich eigentlich nicht haltbar war.
Klaus Reichert: Ich habe nochmal verschiedene dieser Bücher eben jetzt nachgelesen in der Vorbereitung zu unserem Gespräch und ich kann mich erinnern, da gab es den Hinweis auf ein Energiegesetz aus den 30er Jahren, das sozusagen immer noch Bestand hatte, dass quasi Grundlage für all diese Sachen war. Das war ja eine Welt auch, in der große Kraftwerke, wenige Player unterwegs waren, denen quasi alles gehört hat von der Energie, dem Schürfen oder der Kohle sozusagen, dem Kohleabbau, der Erzeugung natürlich, der Netze und so weiter und so weiter. Also das heißt, es war im Grunde eine sehr überschaubare Welt, die man damals hatte, die auf sehr alte Gesetze im Grunde aufgebaut hat
Dieter Seifried: Ja und die Neues mit aller Macht versucht haben zu verhindern. Also Stromerzeugung aus Wasserkraft beispielsweise war zwar nicht verboten, aber die ökonomischen Rahmenbedingungen wurden da so gesetzt, dass praktisch alle kleinen Wasserkraftwerksbetreiber ihre Geschäfte aufgegeben haben, weil erstens haben sie für den eingespeisten Strom so gut wie nichts bekommen. Und zweitens, wenn das Wasserkraftwerk mal nicht gelaufen ist, mussten sie teuren Reservestrom oder Ersatzstrom einkaufen, der da um ein Vielfaches teurer war als der Normaltarif, somit wurde praktisch Stromerzeugung in Kleinanlagen verhindert. Genauso wurde Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung verhindert, indem eben auf der einen Seite günstige Stromerzeugung Tarife für Gas angeboten wurde und für die Stromerzeugung in Blockheizkraftwerken die Einspeisungspreise sehr niedrig waren. Ziel war ja der großen Stromversorger, praktisch ihre Großkraftwerke auszulasten und da waren die lästigen kleineren Kraftwerke, sei es bei der Industrie oder im Gewerbe, die waren nur hinderlich, die Kraftwerke auszulasten.
Klaus Reichert: Diese Zentralisierung, die hat natürlich die Welt auch irgendwie sehr, sehr einfach gemacht, würde ich mal sagen. Es gab natürlich schon erste elektronische Steuerungen in irgendeiner Form, aber im Grunde war da wahrscheinlich noch sehr viel, ich weiß nicht, also durch Menschen vielleicht auch gemacht. Und so ein Netz ist ja durchaus schwieriger, das muss ja sozusagen, Abnahme und Erzeugung muss ja irgendwie im Gleichklang sein. Da war es vielleicht die technische Ausstattung, die damals da war, eben dementsprechend den Ängsten vielleicht, die man dann auch hatte, dass das Ganze jetzt ins Chaos führt, wenn da zu viele Leute irgendwie einspeisen würden. Das ist ja ganz anders, wie wir es heute haben, wo wir zwar das Problem haben, dass ja auch ziemlich viel gesteuert werden muss, aber wir haben eben entsprechende Steuerungs-Software, Computer und so weiter, die da sehr viel übernehmen können. Also da hat sich die Welt ja auch ziemlich gewandelt und da wollen wir auch darüber sprechen, wie sich das mit gewandelt hat. Aber ich würde gerne noch am Anfang bleiben, Atomkraft oder Kernkraft hieß es ja damals, glaube ich, also irgendwann hat ja der Name gewandelt. Das ist so der feuchte Traum der Energiewirtschaft, würde ich mal sagen, so seit ungefähr den 50ern, man hat quasi grenzenlose Energie, keine Abfälle und es läuft quasi immer und es ist nie ein Problem oder sowas. Also das Versprechen von dem Ganzen am Anfang ist ja eigentlich eine ziemlich coole Sache gewesen. Kannst du das nochmal erinnern wie, das für dich damals war, vielleicht bevor du jetzt beim Öko-Institut warst?
Dieter Seifried: Ja, ich habe das Fach Kernkraftwerkstechnik auch belegt an der Uni und habe da auch einen Abschluss gemacht. Und wenn man den Professoren geglaubt hat, dann war das die Zukunft der Kraftwerkstechnik. Gleichzeitig wurde ja damals die Fusion schon gepusht, das heißt, man sagte, man hat das jetzt im Griff und in fünf Jahren, also 1973 sollte es praktisch bis Ende der 70er Jahre marktfähig sein. Also damals ging man noch davon aus, dass es innerhalb von fünf, sechs Jahren so weit ist, heute reden wir von 30, 40 Jahren, bis die Fusionstechnik marktgängig ist.
Klaus Reichert: Also 50 Jahre später reden wir von in 30, 40 Jahren dann?
Dieter Seifried: Ja. Also ich habe damals nicht gezweifelt, ich hatte keinen Grund zu zweifeln, ich hatte auch keine anderen Informationen, damals hat man das so hingenommen. Und erst jetzt später in der Auseinandersetzung um das AKW in Wyhl hat sich mit anderen Argumenten beschäftigt. Und dann kam ja, am Anfang hieß es ja, Atomenergie ist so günstig, dass man erst mal gar keine Zähler verbauen muss,
Kosten wurden mit einem Pfennig pro Kilowattstunde abgeschätzt. Und als man dann eben die ersten kommerziellen Reaktoren gebaut hat, stiegen dann die Kosten eben sehr schnell auf 5, 7, 8 Pfennig pro Kilowattstunde an. Und der Traum von der billigen Atomenergie ist ja schon längst ausgeträumt. Wenn man an die jetzigen Anlagen denkt, die jetzt gebaut werden in Frankreich oder in England, da ist man ja schon weit über der 12-Cent-Marke. Und letztendlich würden die unter kommerziellen Gesichtspunkten, werden heute gar keine AKWs mehr gebaut, kann man eindeutig so sagen.
Klaus Reichert: Ja, ich meine, so nebenbei hat man auch 50 Jahre später noch nicht gelöst, wo der ganze Müll hinkommen soll.
Dieter Seifried: Ganz am Rande, ja.
Klaus Reichert: Ja, ist ja nur ein kleines Problem, ja, also auch ein kurzfristiges Problem. Aber das Spannende, also wenn ich so darüber nachdenke, ist ja, man wird sehr schnell zynisch auch, was das Thema angeht. Weil, Energie ist natürlich ein extrem wichtiges Thema. Dieses Versprechen der Atomenergie ist irgendwie immer noch da bei manchen, ja, aber was wir tatsächlich in der Realität erleben, ist, dass eben sehr stark andere Energiequellen aufgebaut werden, dass das Energiesystem als solches sich grundsätzlich gewandelt hat, gewendet hat. Also diese Energiewende erstmal natürlich möglich ist, da sind wir jetzt auch beim Buch, ja und dass sie eben stattfindet in vielen Iterationen seid, sagen wir mal, vielleicht Lovins oder dem ersten und dem zweiten Energiewende-Buch. Kannst du das bitte kurz mal erläutern, wie so die Reihenfolge war, wann, wie diese Bücher entstanden sind, von welchen Büchern wir da überhaupt sprechen?
Dieter Seifried: Also das Öko-Institut wurde ja 1978 gegründet und eines der ersten Werke, die jetzt angepackt wurden, war eben das Buch „Die Energie Wende: Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran “. Gleichzeitig wurde an der Kritik an Atomkraftwerken gearbeitet und man wollte eben nicht nur Kritik üben, sondern auch Lösungsvorschläge machen. Und an den Lösungsvorschlägen hat man sich schon ziemlich stark orientiert, an dem Werk von Emery Lovins, was 1976, 1977 in den USA verfasst wurde. Also da ging es zunächst darum zu zeigen, wir können mit weniger Energie auskommen. Dafür muss man im Hinterkopf haben, die Energieprognosen beziehungsweise der Ausbau der Kraftwerke damals in den 70er-Jahren verlief praktisch parallel mit der Entwicklung des Bruttosozialprodukts, was damals noch um 4 bis 5 Prozent pro Jahr anstieg und dementsprechend wurden auch die Kraftwerkskapazitäten hochgefahren. Es galt als Gesetzmäßigkeit, dass praktisch mehr Wirtschaftsleistung eben auch mehr Energie benötigt. Und da war die Energiewende eben schon ein ganz harter Schnitt, weil da gesagt wurde, wir kommen mit der Hälfte der Energie aus, trotz Wirtschaftswachstum. Das war schon eine ganz neue Nummer, die auch heftig kritisiert wurde von den wissenschaftlichen Instituten, die in der Politik kritisiert wurde. Und ja, natürlich hauptsächlich auch von den Energieversorgern, wurden ja zunächst mal als Spinner abgetan.
Klaus Reichert: Ja, aber vielleicht nicht zu Unrecht. Da ist etwas, was man lebt, wo man eigentlich immer auch denkt, na ja, der Strom kommt ja eher aus der Steckdose, schmeckt nicht, außer man hält einen Finger rein, dann bitzelt es ein bisschen. Ansonsten ist ja Strom irgendwie nur in Form von dem Ergebnis dann da, von Licht oder von Wärme oder von Kühlschrank oder sowas. Also das ist eigentlich eine sehr komische Sache, die ist extrem wichtig und gleichzeitig ist sie doch nicht sehr präsent bei uns. Das haben wir ausgesourct zu irgendjemand, der das für uns macht, diese fünf, acht oder zehn Firmen, die das damals dann eben waren. Jetzt kommt ihr daher und stellt das quasi um, ihr stellt es auf den Kopf, ihr stellt es infrage. Ja, kann ja jeder behaupten, ihr kommt daher mit sehr wilden Ideen im Grunde. Ja, da muss man doch irgendwie auch ganz schön Mut haben, oder?
Dieter Seifried: Ja, wenn man die Zusammenhänge mal erkannt hat und weiß, dass man richtig liegt, dann braucht es nicht mehr so viel Mut, glaube ich, ist aber Voraussetzung, ja. Und ein wichtiger Gedanke, den es eigentlich auch zu vermitteln gab, war ja auch den Leuten versuchen zu vermitteln, dass wir eigentlich keine Energieträger brauchen. Wir brauchen eigentlich nicht Strom, wir brauchen Energiedienstleistungen. Das heißt, wir brauchen Licht, Licht wird aber gemacht aus Strom und einer Technologie. Oder wir brauchen Häuser, dazu brauchen wir einerseits Energieträger, aber noch entscheidender ist die Frage, wie ist das Haus gedämmt, wie effizient ist die Heizung? Wir brauchen gekühltes Bier, dazu brauchen wir einen Kühlschrank, aber wie viel Energie der benötigt, wie viel Strom er benötigt, wird durch die Technik bestimmt. Und dieser Gedanke, dass wir alle Energiedienstleistungen benötigen oder Transportdienstleistungen, aber nicht den eigentlichen Energieträger, der war auch ein zentraler Punkt des Werkes und so wurde eben auch dargestellt, wie man mit viel weniger Energie den gleichen Wohlstand, die gleiche Produktion, die gleichen warmen Wohnungen bekommen kann eben über das Prinzip der Energiedienstleistung.
Klaus Reichert: Das heißt, wir kommen vom Energieversorger zum Energiedienstleister, von der großen Zentralisierung, wo quasi alles in einer Hand war, von der Energie aus dem Boden holen bis zu, der Strom landet tatsächlich in meiner Steckdose, zu einem Konzept, und da kommen wir jetzt vielleicht auch zum Untertitel von eurem Buch, für eine neue Energiepolitik der Kommunen. Das heißt also, ihr geht von einer Zentralisierung auf eine quasi Dezentralisierung, die aber noch nicht so weit geht, dass quasi jeder den Strom erzeugt, sondern ihr wolltet den Fokus auf die Kommunen als weitere Player dann regional, lokal vor Ort dann quasi setzen?
Dieter Seifried: Ja, auch das war eigentlich logisch abgeleitet. damals waren Verluste 65 bis 70 Prozent, heute, bei modernen GUD-Anlagen, sind die Verluste noch bei 40 Prozent. Und wenn man diese Verluste nicht haben will, muss man die Abwärme aus Kraftwerken nutzen, das heißt dezentrale Stromerzeugung. Und die ganzen Fragen der Energieeinsparung sind auch Fragen, die nur dezentral gelöst werden können. Das heißt, man muss man Verbraucher schauen, wie kann man die Verbräuche reduzieren, wie kann er seine Dienstleistungen mit möglichst wenig Energie erreichen? Und ein anderer Faktor, der für die kommunalen Unternehmen gesprochen hat, war eben auch, dass man als Bürger den kommunalen Unternehmen mitreden kann, mitgestalten kann, die Energiewende, während die großen Stromversorger mit ihren zentralen Kraftwerken ja völlig außerhalb jeglicher Reichweite waren. Also diese drei Ansatzpunkte, Gestaltungsmöglichkeiten auf der einen Seite, aber auch Nutzung der Energie möglichst optimal, muss auf der kommunalen Ebene stattfinden. Genauso wie man jetzt ja erkannt hat, jetzt im Rahmen des neuen Gebäudeenergiegesetzes erkannt hat, dass jede Kommune praktisch einen Wärmeplan, also einen Plan haben muss, wie die Wärmeversorgung der Kommunen aussehen soll. Hatten wir damals auch schon gefordert, man muss das gemeinsam optimieren, Wärme und Stromversorgung. Und dazu muss man eben die Wärmeplanung vor Ort machen, das kann man nicht von oben heruntermachen, sondern das muss jede Kommune für sich machen.
Klaus Reichert: Okay, du hast es gerade gesagt, es habt es damals auch gefordert oder vorgeschlagen. Jetzt hat es halt nur ungefähr 25 Jahre gedauert, 30 Jahre gedauert, bis es so weit ist, dass es jemand aufgreift, vielleicht sogar noch ein bisschen länger. Wie kommt dir das vor?
Dieter Seifried: Damals schon haben Kommunen dann Wärmekonzepte gemacht. Also in den 80er-, 90er-Jahren haben wir mit sehr vielen Kommunen zusammengearbeitet, die ein Energie- oder Klimaschutzkonzept erarbeitet haben wollten und da war immer auch der Blick auf die Wärmeversorgung. Also insofern war es nicht so, dass es in der Senke verschwunden war, sondern jetzt, ja, in neuerer Zeit, seit 2021 ist ja das Ziel der Null-Emissionen bis zum Jahr 2045, also wir wollen ja unsere gesamten CO₂-Emissionen bis 2045 auf null herunterfahren. Und da war es unumgänglich, dass eben dann auch die Wärmeversorgung praktisch keine Emissionen oder kaum mehr Emissionen ausstößt. Und damit wurde klar, wir müssen Wärmekonzepte einerseits umsetzen, damit möglichst viele Leute an Nah- und Fernwärme angeschlossen werden können und der Rest dann über Wärmepumpen oder gegebenenfalls auch noch Kraft-Wärme-Kupplung versorgt werden oder über Solarenergie. Also von daher hat sich die Lage eigentlich verschärft und damit eben auch die Anforderungen an diese Wärmekonzepte.
Klaus Reichert: Weil du es gerade sagst, verschärft, ich kann mich erinnern, Club of Rome sagt, Mensch, wir haben es mit endlichen Ressourcen zu tun. Öl, Kohle, Gas, das ist zwar da und es kommen auch immer wieder vielleicht neue Felder, die man findet, aber grundsätzlich ist es ja eine endliche Ressource, die ist in 50 Jahren weg. Diese 50 Jahre wurden auch immer wieder mehr, also mittlerweile ist es ja auch schon in die Zukunft wiederum gewandert, aber man kann davon ausgehen, dass es irgendwann weg ist. Also das ist vielleicht 100 Jahre, 200, das ist mir eigentlich vollkommen wurscht, die Menschheit sollte noch länger existieren und braucht das Zeug natürlich irgendwie auch für andere Sachen. Das war damals in den 80ern, in den 70ern ein ganz, ganz wichtiges Thema. Ich habe den Eindruck, das ist heute überhaupt nicht mehr wichtig, da redet keiner mehr drüber, das ist ersetzt worden durch dieses Thema CO₂ und auch Äquivalente davon. Kannst du das irgendwo festmachen, wann es da so diesen Umschwung gab in dieser Sichtweise dann auch oder diese Weiterentwicklung?
Dieter Seifried: Ich glaube, der Umschwung war 2015 mit dem Paris-Abkommen zu Klimaschutz, da hatte sich die Weltgemeinschaft darauf geeinigt, einen Pfad gehen, der möglichst 1,5 Grad Erderwärmung anzielen sollte, aber zumindest von 2 Grad. Und damit ist eigentlich auch klar geworden, dass wir das Öl und das Gas und die Kohle, die noch im Boden drin sind, gar nicht mehr alles fordern dürfen, wenn wir das Ziel erreichen wollen. Also wir werden keine Engpässe haben bei fossilen Energieträgern, sondern im Gegenteil, es ist jetzt eher zu erwarten, dass die Preise bei den fossilen Energieträgern tendenziell zerfallen werden, weil es ein Überangebot geben wird. Meine Einschätzung, auf jeden Fall ist das Thema Reichweite eigentlich abgehakt, das spielt keine Rolle mehr, weil wir mehr Ressourcen haben als wir benötigen für die nächsten 1.000 Jahre.
Klaus Reichert: Weil wir auf diesem Pfad der Energiewende sind, was heißt, eben Einsatz von regenerativer Energieerzeugung, von Ressourceneffizienz und so weiter und so weiter.
Dieter Seifried: Ja und die Erneuerbaren ja auch, was die Kosten angeht sind, billiger sind, kostengünstiger sind als alle fossilen Energieträger und die Atomenergie, von daher ist dieser Weg auch nicht mehr umkehrbar.
Klaus Reichert: Ja, es ist einfach sozusagen eine wirtschaftliche Logik dahinter, die das mehr oder weniger vorantreibt und dann sagt, okay, wir können zwar eine Ausschreibung machen für neue Stromerzeugung, aber wir wissen, dass halt eben zum Beispiel Windkraft dann das Geschickteste, das Günstigste ist. Und die Energiewende hat, sagen wir mal, 1980 angefangen, ich sage es jetzt mal so. Also ich weiß nicht genau, was man dazu gehört, im Rahmen von meiner Doktorarbeit habe ich auch immer wieder Beispiele gefunden von irgendwelchen Hippies, die dann halt in Kalifornien schon sehr viel im Bereich Gebäude experimentiert haben. Der Emery Lovins vom Rocky Mountain Institute, was er ja mitgegründet hat, der war jetzt aber kein Hippie oder, das war irgendwie ein Nerd, würde man vielleicht heute sagen.
Dieter Seifried: Das war ein Energie-Nerd, würde man sagen, einfach ein Physiker, der sich ganz speziell mit Energiefragen und mit Effizienzfragen beschäftigt hat und das Thema wirklich von Grund auf aufgearbeitet hat, der sich halt genau darauf spezialisiert hat und dann auch im Zusammenhang mit den Schlagzeilen, die er produziert hat. Also er ist ja dann in den 70er-Jahren, haben sie natürlich auch versucht, seine steilen Thesen irgendwie zu widerlegen und er hat aber, da er ein pfiffiger junger Mann war, sich immer weiter in dieses Thema reingefuchst und war wirklich dann der Energiespezialist, auf den dann auch bald in den USA viele Energieversorger und auch die Politik ein Stück weit gehört hat. Die USA haben, ja, ich würde jetzt mal sagen, Anfang der 80er-Jahre, hatten die das Problem, dass sie nicht schnell genug Kraftwerke ausbauen konnten und die Kosten durch den Anstieg des Kraftwerksausbaus stark gestiegen sind. Und gerade, wenn ich lange Bauzeiten habe von fünf bis zehn Jahren für ein Atomkraftwerk, dann muss ich ja die ganzen Kosten praktisch noch auf die wenigen Kilowattstunden umlegen, die ich mit den alten Kraftwerken produziere. Das hat dazu geführt, dass in Amerika die Regulierungen geändert wurden, in dem Sinne, dass neue Kraftwerke nur gebaut werden durften, wenn nachgewiesen werden konnte, dass es günstiger war, als Energieeffizienzmaßnahmen umzusetzen. Also das war die Methode des Lease Cost Planning, das heißt, es musste geschaut werden, wo fallen die geringsten Kosten an beim Kraftwerksausbau oder bei der Umsetzung von Effizienzmaßnahmen. Und die Unternehmen wurden dann gezwungen, praktisch Effizienzmaßnahmen bei ihren Kunden durchzuführen, um damit die gesellschaftlichen Kosten zu reduzieren.
Klaus Reichert: Also die USA, die sehr individualistisch orientiert sind, haben es geschafft, zumindest beim Thema Energie einen ganz anderen Blickwinkel, einen anderen Horizont quasi zu haben, der mehr aufs Gesamte schaut, anstatt auf das Einzelne.
Dieter Seifried: Ja, das war ein ökonomischer Zwang. Energieversorgungsunternehmen konnten ja alle ihre Kosten einfach auf ihre Kunden abwälzen, es sind ja Monopole gewesen mit Demarkationsgebieten. Das heißt, in bestimmten Gebieten, also Deutschland waren acht Demarkationsgebiete aufgeteilt und in jedem der Gebiete hat ein Energieversorger den Strom geliefert. Und die konnten, egal, welche Fehlinvestitionen sie getätigt haben, sie konnten alle ihre Kosten auf die Tarife und auf die Strompreise umwälzen. Da gab es eine Preisaufsicht, die lediglich darauf geguckt hat, dass eben die Gewinne im Verhältnis zum eingesetzten Kapital nicht übermäßig hoch waren. So war es in den USA auch und dann kam eben aber die Situation, dass mit dem schnellen Ausbau die Kosten eben enorm anstiegen und das Probleme bei den Tarifen gemacht hat, das wäre zu teuer geworden und dann ist praktisch die Aufsichtsbehörde eingestiegen. Das ist ja ein Stück weit ähnlich, es ist bei uns gelaufen zunächst mal mit dem Ersatz der Glühbirne durch Fluoreszenzlampen, wo die EU praktisch ein Gesetz erlassen hat, dass eben Stück für Stück Glühlampen durch Stromsparlampen, Fluoreszenzlampen ersetzt werden müssen und später eben durch LEDs. Auch das war praktisch eine Maßnahme, um Stromverbrauch und Stromkosten zu reduzieren, im gesellschaftlichen Sinne.
Klaus Reichert: Da kann ich mich auch sehr gut erinnern aus meiner Zeit, wie ich als Zivi bei euch im Öko-Institut war, da kann ich mich auch noch daran erinnern, dass ihr zum Beispiel ein Projekt mit den Stadtwerken Hannover eben hattet, um solche Glühbirnen, solche Dinger eben unter die Leute zu bringen. Unter dem Aspekt auch, dass damit natürlich bei den Kunden, Kundinnen Strom gespart wird und eben weniger in investiert werden muss, in den Ausbau der Erzeugung.
Dieter Seifried: Wir haben das Konzept aus den USA übernommen und einige Stadtwerke waren auch interessiert, wir haben für diverse Stadtwerke also Lease-Cost-Planning-Studien gemacht und die wurden zum Teil auch umgesetzt. Aber dann kam ja 1998 die Liberalisierung des Strommarktes in der EU, das wurde auch von der EU vorgegeben beziehungsweise war von der EU-Kommission praktisch dann beschlossen worden und ab 1998 wurden dann die Demarkationsgebiete und die Monopole aufgehoben. Es war aber Konkurrenz unter den Energieversorgern und es ist klar, dass ein Konzept, was den Energieversorger verpflichtet, beim Kunden einzusparen, unter Konkurrenzbedingungen nicht mehr funktionieren kann.
Klaus Reichert: Aber es hat jetzt quasi das Tor zum Energiemarkt für kleinere Anbieter geöffnet oder, also zum Beispiel auch für kommunale Anbieter wiederum?
Dieter Seifried: Das ist richtig, ja, es hat viele neue kleine Anbieter hervorgebracht, die hauptsächlich mit Grünstrom gehandelt haben. Hat sicherlich Vor- und Nachteile gehabt, dieses Gesetz, aber eben die gezielte Erschließung der Effizienzpotenziale ist damit praktisch vorbei gewesen. Wir hatten zum Beispiel in Freiburg mit den Stadtwerken, hatten wir überzeugt, dass sie jedem Kunden zwei LED-Lampen, nein, Stromsparlampen waren es damals, kostenlos zur Verfügung stellen, weil das kostengünstiger war für Kunde und für das EVU als eben weiterhin eine Glühlampenbeleuchtung umzusetzen. Das haben die gemacht und haben eben, da sie weniger Absatz hatten, eine Preiserhöhung genehmigt bekommen. Die Preiserhöhung war aber so niedrig, dass die Kunden, die eben die Stromsparlampen eingesetzt haben, einen Vorteil hatten, das heißt, ihre Stromrechnungen niedriger wurden. Das heißt, einerseits hatten die Kunden einen Vorteil, andererseits der Energieversorger, weil einfach die Kosten für die Dienstleistung Licht war damals mit Fluoreszenzlampen wesentlich günstiger, also 80 Prozent günstiger als mit Glühlampen. Und jetzt über die LED-Lampen sind ja nochmal um Faktor drei bis vier die Kosten gesunken, die Energiedienstleistung Licht.
Klaus Reichert: Ja, ihr habt doch damals sehr viele verschiedenste Punkte vorgeschlagen, ein Punkt war eben die Dezentralisierung in diesem Stromgeschäft. Das heißt, da haben sich natürlich mindestens diese acht Firmen bedrängt gefühlt. Dann habt ihr verschiedenste andere Themen, zum Beispiel Energiedienstleistungen anstatt jetzt nur Strom liefern und so weiter mit dazu gebracht, also viele neue Ideen waren da auch mit dabei. Ihr hattet einen anderen Blickwinkel auf die Themen, die euch das dann auch im Grunde ermöglicht haben, da auch etwas zu entwickeln und dann eine andere Lösung sozusagen vorzuschlagen. Jetzt erscheint also das erste Energiewendebuch, dann das Zweite, ich habe das hier, es wird leider so blurry gemacht, ja, jetzt ist es da. Und kannst du dich noch erinnern, wie so damals zum Beispiel in der FAZ oder anderen Zeitung so die Aufnahme war? Gab es Schimpfworte oder sowas gegen euch?
Dieter Seifried: Ja, Schimpfwörter. Franz Strauß hat uns zum Beispiel als Kommunisten bezeichnet, die nichts anderes im Sinne hatten, als das System zu zerstören. Braucht man jetzt nicht als Schimpfwort bezeichnen, aber es gab natürlich schon kräftige Kritik einerseits, aber von Seiten der Kommunen, die ja als neuer Akteur praktisch durch das Buch gestärkt wurden, gab es auch viel Zuspruch. Und ich muss ja auch sagen, dass das Buch in die Zeit fiel, wo das Atomkraftwerk in Tschernobyl in die Luft geflogen ist, im April 1986. Und in dem Zusammenhang wurde auch ganz anders über Energiepolitik diskutiert, wurden neue Wege auch intensiver gesucht, weil man erkannt hat, dass die Sache mit dem risikolosen Atomstrom und dem günstigeren, doch nicht so ganz das Wahre ist. Und innerhalb von einem halben Jahr gab es in 400 Städten in Deutschland sogenannte Energiewendekomitees, die sich für eine andere Energiepolitik eingesetzt haben, also für die Energiepolitik der Kommunen eigentlich.
Klaus Reichert: Ihr habt eine Bewegung ausgelöst.
Dieter Seifried: Wir haben die Bewegung ausgelöst und auch noch Jahre danach betreut, also da ist sehr viel entstanden. Da wurde natürlich nicht das Konzept eins zu eins umgesetzt, aber es hat sich sehr viel geändert, kann man einfach so sagen. In den darauffolgenden Jahren wurden beispielsweise Blockheizkraftwerke in vielen Kommunen gebaut, insbesondere in öffentlichen Gebäuden, Krankenhäusern, Schulen, Hallenbädern, weil es einerseits wirtschaftlich ist und andererseits man erkannt hat, dass es eben einen Teil der Problemlösung darstellt. Neubaugebiete wurden eben nicht mehr nach altem Standard gebaut, sondern in Freiburg zum Beispiel wurden zwei Neubaugebiete auf Druck vom Energiewendekomitee mit viel höheren Anforderungen als die Gesetzlichen ausgeschrieben. Das heißt, da hat die Kommune letztendlich vorgegeben, alle Häuser, die gebaut werden müssen, müssen mindestens Niedrigenergiebaustandard haben, besser aber noch Passivbaustandard. Also da wurde sehr viel auf kommunaler Ebene, ist da passiert.
Klaus Reichert: Es war schon so, dass da auch normale Menschen sich mit dem Thema beschäftigt haben und erkannt haben, dass es da etwas gibt, was man verbessern kann und haben sich dann zusammengetan und konnten damit dann auch etwas als Gruppe bewegen.
Dieter Seifried: Ja, wir hatten, als wir das Buch erarbeitet haben, die „Die Energiewende ist möglich“, haben wir einen regen Austausch mit anderen Leuten geführt, die in der Praxis, also die in der energiepolitischen Praxis waren oder in den Kommunen waren. Es war ein sehr, sehr fruchtbarer Austausch, wir haben uns alle ein Vierteljahr getroffen zu Seminaren, immer mit unterschiedlichen Referenten. Und man kann sagen, das war auch so eine Art Ausbildungscamp für Kommunalpolitiker oder für Leute, die in der Verwaltung gearbeitet haben, die dann die Gedanken auch in die Kommunen, in die Verwaltung rein getragen haben. Das war nicht unwichtig für die Umsetzung von Maßnahmen.
Klaus Reichert: Ihr habt aber auch das Buch mit einer Ausrichtung auf Kommunen und Vorschlägen für Kommunen ja geschrieben, mit der Hoffnung, dass es da eben einen Player gibt, die eben tatsächlich auch agieren können und etwas bewegen können vor Ort.
Dieter Seifried: Ja, also gut, für Wissenschaft und Kommunen, man braucht ja irgendwelche Unterstützer, wenn man Dinge bewegen will. Die Idee alleine, versandet in der Regel, wenn man nicht halbwegs potente Mitstreiter findet, die die Ideen weitertragen und versuchen, die auch umzusetzen.
Klaus Reichert: Wenn man jetzt mal so guckt, es gibt ja viele Menschen, die an diesem Thema Energiewende arbeiten, sie haben die Notwendigkeit erkannt, es sind Menschen, die daran forschen, die politisch tätig sind, die wirtschaftlich tätig sind, also eine große Bewegung sozusagen hat das Ganze ausgelöst. Und gleichzeitig gibt es sehr viele Menschen, die versuchen, das Thema zu verhindern oder zumindest zu diskreditieren. Also vielfach habe ich den Eindruck, dass da einfach auch unaufrichtig gehandelt wird. Wenn du das mal so ein bisschen in die Balance bringst, Energiewende, wo stehen wir da heute? Ist das jetzt, also natürlich nicht mehr Energiewende 2.0 oder so, aber da sind wir schon weit darüber hinaus, aber wo stehen wir da, ist das jetzt Teil unseres Lebens, unserer Gesellschaft, unserer Vision, vielleicht auch von einer Zukunft, die wir haben? Ja, wie siehst du das?
Dieter Seifried: Ich würde schon sagen, dass das eine Vision ist, eine machbare Vision, die zum Greifen nahe ist. In 10, 15 Jahren können wir die gesamte Stromerzeugung auf erneuerbare Energien umgestellt haben und bis 2045 könnten wir auch die gesamte Energieversorgung CO₂-neutral aufgestellt haben, es ist machbar. Die Energiewende ist auch nicht mehr aufzuhalten, also sie ist nicht mehr zu stoppen, glaube ich, aber sie kann natürlich verzögert werden. Und das ist das, was wir gerade sehen, dass verschiedentlich versucht wird, sie auszubremsen. Kennt man beispielsweise bei der Diskussion um Verbrennerautos, Elektroautos, im Moment versucht ja die Automobilindustrie und alle, die daran mitverdienen, erstens den Ausstiegsbeschluss im Jahr 2035 zu kicken oder auch die EU-Flottenverbrauchsrichtlinie zu entschärfen, damit die Umstellung von fossilen Fahrzeugen auf E-Fahrzeuge weniger Probleme bereitet. Man hat es jahrelang versucht zu verzögern und jetzt kommt man natürlich ein bisschen unter Druck und jetzt versucht man die Rahmenbedingungen zu verändern, sodass man mehr Zeit hat. Oder, wenn man das Gebäudeenergiegesetz und den Heizhammer betrachtet, auch da hat man versucht, ja, die Regierung den Vorschlag, wo man sagen muss, der war nicht ganz ausgegoren, die Zeitspannen zur Einführung waren zu anspruchsvoll gesetzt, die Förderpolitik war nicht abgestimmt, da gab es viele Schwachpunkte, aber dass wir ein Gebäudeenergiegesetz und andere Heizungssysteme brauchen, war eigentlich schon lange klar. Jetzt wurde es angepackt und es hat natürlich zu sehr viel Unruhe geführt und war eine gute Vorlage, um die Energiewende jetzt abzuschwächen oder abzubremsen. Das hat sehr viel Unmut in der Bevölkerung erzeugt, das hat sehr viel Stimmen auch für die regierenden Parteien gekostet. Und das hat sicherlich gewisse Folgen, im Sinne, dass im Moment die Energiewende in den nächsten ein, zwei Jahren eher etwas abgebremst wird, aber aufzuhalten ist sie nicht mehr, das glaube ich nicht. Wir haben international uns verpflichtet, auf null Emissionen bis zu 2045 und alle Schritte, die im Moment im Gange sind, sind zwangsläufig Schritte, die gemacht werden müssen, um das Ziel zu erreichen.
Klaus Reichert: Und es ist nun mal so, dass es da viele Schritte gibt, die aufeinander aufbauen, wir haben es mit Investitionen zu tun, die mittlerweile auch sehr stark dezentralisiert sind. Also wenn ich zum Fenster gucke, sehe ich überall zum Beispiel Photovoltaikanlagen auf den Dächern um mich herum oder Elektroautos, die eben herumfahren, überall werden neue Ladestationen zum Beispiel gebaut. Wir reden über zum Beispiel Wasserstoffnetze, die aufgebaut werden, vor allem für die Industrie, für die vielleicht auch Stahlgewinnung und so weiter und so weiter, also da passiert was, das passiert einfach Schritt für Schritt. Und wenn man mal guckt, das, was wir vor, na ja, 1980 vielleicht hatten als Energienetz, das ist ja auch über ungefähr 100 Jahre aufgebaut worden. Also das heißt, das musste ja, es hat ja Zeit auch zum Wachsen gebraucht. Und jetzt haben wir eine andere Situation heute, wir haben sehr viele Erzeuger, wir haben selbst kleine Anlagen, selbst eine kleine Balkonanlage ist ja im Grunde ein Erzeuger. Wir haben dann Leitungsbetreiber, Leitungsnetzbetreiber, wir haben Stadtwerke, die irgendwo zwischendrin sind, auch teilweise Eigen erzeugen, dann handeln und, und, und. Da gibt es also mittlerweile eine wilde Mischung, ein sehr dezentralisiertes Feld oder ich weiß gar nicht, wie ich sagen sollte, Strom wird gehandelt an Börsen über die europäischen Grenzen hinweg, also auch da ist es ganz normal, dass man eben internationalisiert hat. Wie ist das jetzt so in deiner Wahrnehmung im Vergleich zum Beispiel um 1980 herum, wie vielfach ist das jetzt komplexer geworden?
Dieter Seifried: Was komplexer geworden ist, ist die Steuerung der Kleinkraftwerke. Das ist schon um ein Vielfaches komplexer als früher, aber machbar mit moderner Elektronik, machbar mit Anreizen. Wo wir jetzt einen sehr schnellen Ausbau benötigen, sind dynamische Tarife. Aber auch das haben wir bereits in dem 85er-Werk, haben wir ja gesagt, wir müssen von dem starren Tarifsystem wegkommen, wo jede Kilowattstunde gleich viel kostet. Und der Vorschlag war eben, zeitabhängige Tarife einzuführen. Das heißt, zu Spitzenlastzeiten ist Strom einfach teurer, in Schwachlastzeiten billiger. Heute ist die Situation anders, wir haben Zeiten, wo viel Solarenergie im Netz ist, dann muss der Strom günstig sein. Und wir haben Zeiten, wo wenig Wind bläst und die Sonne nicht scheint, dann ist der Strom teuer. Und dementsprechend brauchen wir dynamische Tarife, die also keine festen Uhrzeiten mehr kennen, aber sich dynamisch an Nachfrage und Angebot orientieren. Genauso brauchen wir bei den Kunden starke Anreize, dass, wenn sie weniger Strom benötigen zu solchen Zeiten, wo die Erneuerbaren wenig liefern können, dass sie einen Bonus bekommen beziehungsweise, dass die Strompreise einfach hoch sind, dass sie weniger verbrauchen. Es muss auf der Verbraucherseite sich die Nachfrage ändern und auch auf der Erzeugerseite brauchen wir Anreize, dass beispielsweise Solaranlagen nicht mehr in Südausrichtung gebaut werden, sondern in Ost-West-Ausrichtung, sodass sie eine gleichmäßigere Erzeugung über den Tag haben. Es ist klar, dass Einspeisevergütungen nicht ewig gezahlt werden können für Stunden, in denen die Strompreise negativ sind. Das heißt, es wird auch hier neue Regelungen geben müssen, die eine zusätzliche Belastung des Finanzhaushalts des Staates eben reduzieren oder vermeiden. Also es gibt Ansätze, das zu tun, aber der Regelaufwand ist eben um ein Vielfaches höher als früher.
Klaus Reichert: Aber wir haben jetzt eben sehr viel mehr Möglichkeiten, mit dieser Regelung umzugehen, also jede Menge Hardware, Computerhardware, wir haben Software, wir haben Erfahrungswerte, wir haben AI, was dazukommt. Wir haben viele Sensoren und Aktoren sozusagen, die irgendwas an und abschalten können, je nachdem, wie gerade zum Beispiel Strom da ist oder nicht. Vor allem, wir haben das Internet, das uns dann hilft, auch diese Daten dann zu übermitteln auf eine sehr unkomplizierte Art und Weise, mobile Geschichten, die dann das mobil übertragen können, auch, wenn wir eben nicht irgendwie im bewohnten Raum sind, irgendwie ganz weiß draußen. Was mir aber da immer wieder auch auffällt, ist, das Thema Energiewende ist mittlerweile einfach sehr, sehr komplex geworden und es wird auch öffentlich sehr stark diskutiert. Und da frage ich mich, ist das jetzt etwas, dass es schon zu komplex ist für echte und konstruktive Diskussionen oder ist es halt einfach, ja, vielleicht einfach nur, ich weiß gar nicht, mir fällt das Wort gar nicht ein, einfach Missgunst oder Leute, die einfach da mitreden und einfach keine Ahnung haben, aber halt dagegenhalten?
Dieter Seifried: Also richtig ist, es ist viel komplexer geworden und das erleichtert Falschinformationen, das erleichtert den Leuten, einfach ein X für ein Y vorzumachen, das erleichtert der Gegenseite auch darzustellen, dass das alles nicht ausgegoren ist oder nicht richtig funktioniert. Beispielsweise eben ist den Leuten kaum zu vermitteln, dass in Zeiten, wo die PV-Anlagen viel Strom erzeugen, mehr Strom als wir brauchen, dass dann diese Anlagen abgeregelt werden müssen. Dass die Kosten der Abregelung aber die Verbraucher zu bezahlen haben, alle Verbraucher zu bezahlen haben, weil eben die Kleinanlagen eben auch diese Zeiten vergütet bekommen, wenn der Strompreis negativ ist.
Klaus Reichert: Aktuell noch?
Dieter Seifried: Ja und das wird auch noch länger so sein, weil, das Einspeisegesetz regelt ja die Einspeisevergütung über die nächsten 20 Jahre seit Beginn, also seit Inbetriebnahme der Anlage. Und das heißt, Anlagen, die vor zehn Jahren ans Netz gegangen sind, werden auch die nächsten zehn Jahre durchgängig eine Einspeisevergütung erhalten, egal, ob der Strompreis negativ ist oder nicht, weil es eben per Gesetz so ausgehandelt wurde. Also von daher bietet es Angriffsflächen für die Kommunikation. Das heißt, immer mehr Solaranlagen, immer mehr Zeiten mit negativen Strompreisen, aber wir müssen es bezahlen als Verbraucher. Das kann es doch nicht sein.
Klaus Reichert: Aber das ist jetzt auch ein ähnliches Thema, wie du vorhin angesprochen hast mit den dynamischen Tarifen, das sind keine technischen Themen als solches, sondern es ist etwas, was man über Gesetzgebung, über Vereinbarungen, Verträge und so weiter eben lösen kann. Also das heißt, wir stoßen nicht an die Grenzen der Physik, sondern wir stoßen im Grunde maximal an eine Grenze dessen, was jemand eben sich vorstellen kann und mitmachen möchte, mittragen möchte politisch.
Dieter Seifried: Ja. Ja und es wird auch gerade angegangen. Es wird angegangen, ab 2025 werden zum Beispiel größere Anlagen bei negativen Preisen jetzt keine Vergütung mehr erhalten. Das heißt, das Problem ist erkannt worden, das Problem wird ausgeräumt für die Neuanlagen, aber für die Altanlagen existiert es noch weiter.
Klaus Reichert: Okay, also da hat man dann einfach etwas, was dann weniger wird über die nächsten Jahre, Jahrzehnte und dann eben ausgefast wird und dadurch sich der Strompreis ja dann auch wieder verändern kann, positiv. Mir ist aufgefallen, die Verschlagwortung von eurem Buch, „Die Energiewende ist möglich“, hatte als erstes Schlagwort Energieversorgung. Ja, also das finde ich irgendwie auch sofort nachvollziehbar. Jetzt war aber das zweite Schlagwort in der Liste Umweltverträglichkeit. Und kannst du sagen, wann dieses Thema Umweltverträglichkeit zum Thema Energieversorgung dazugekommen ist? Also ich würde manchmal sagen, 1960, da ging es nicht darum, etwas umweltverträglich Strom zu erzeugen.
Dieter Seifried: Das kam in den 70er-Jahren, in den 70er-Jahren gab es, glaube ich, die erste Umweltschutzorganisation überhaupt erst, wurde es überhaupt erst zum Thema, Umweltschutz. Und Energieversorgung und Umweltschutz, würde ich sagen, kam mit dem Waldsterben Ende der 70er-Jahre, Anfang der 80er-Jahre ins Gespräch oder wurde stark. Damals ist ja auch klar geworden, dass wir mit der Stromversorgung und den Kohlekraftwerken so nicht weitermachen können, sondern da wurde eben die Schwefeldioxid- und NOx-Belastung zum großen Thema beim Waldsterben. Und entsprechend wurde Energieversorgung auch mit Umweltschutz verkoppelt, indem dann Gesetze erlassen wurden, um die Kraftwerke sauberer zu machen. Ich würde sagen, Ende der 70er-Jahre ist das zusammen gedacht worden. Ich bin aber jetzt kein Historiker und habe das jetzt auch nicht alles genau auf der Platte.
Klaus Reichert: Ja, aber du hast es ja erlebt, deswegen. Aber man muss dazu sagen, das war eben nicht in der Verbindung von CO₂, sondern es war eben, andere Stoffe, die bei der Verbrennung entstanden sind, die eben dann zum Waldsterben zum Beispiel geführt haben.
Dieter Seifried: CO₂ ist praktisch erst Anfang der 80er-Jahre. Also der eigentliche wissenschaftliche Zusammenhang ist schon alt, schon vor 100 Jahren, über 100 Jahren entdeckt worden, aber die politische Diskussion über CO₂-Emissionswerte und die Anreicherung in der Atmosphäre hat praktisch erst in den 80er-Jahren angefangen
Klaus Reichert: Da wurde es dann auch politisch, du hast gesagt, seit über 100 Jahren kennt man diese Zusammenhänge mit dem CO₂. Mir ist da auch etwas, was ich mal gelesen habe, gerade etwas präsent. Was ich dich aber da gerade fragen wollte, ist, was ist deine Einschätzung, wann wurde der Strom denn grün? Irgendwann ist das Thema auch sehr stark politisiert worden. Das heißt, es war dann auch so ein Thema, was die Linken oder die Grünen oder sowas gemacht haben, das Thema Energiewende, da hat man sich dann auch eingeschossen von der, ich sage mal, von der rechten Seite. Und man hat quasi etwas, was mit Physik zu tun hat, was mit Komfort zu tun hat, was mit, was weiß ich alles zu tun hat, mit Lebensnotwendigkeit, wurde plötzlich grün und wurde auch angegriffen. Wie hast du das erlebt, diese Wandlung von etwas, was im Grunde ja wissenschaftlich greifbar ist, zu einem Ding, was plötzlich so politisiert wurde?
Dieter Seifried: Politisiertwurde es als Erstes zunächst von Wasserkraftwerkbetreibern. Nach Tschernobyl, als klar wurde, wir haben ein Problem mit unserer Energieversorgung, hat man eingesehen, ich glaube, es war eine CDU-Regierung, dass man Strom, der günstig erzeugt werden kann in Wasserkraftwerken, nicht einfach wegspeisen sollte. Da wurde zum ersten Mal eine Einspeisevergütung für Wasserkraftwerke ermöglicht, da haben die zum ersten Mal Geld bekommen für Strom, den sie ins Netz geliefert haben. Das waren 40 Prozent von dem, was der Strom bei den Kunden gekostet hat. Das war Anfang der 90er-Jahre und da hatten wir einen Anteil von 4 bis 5 Prozent Stromerzeugung aus Wasserkraft. Damals war noch die Meinung, dass Strom aus PV und Wind nie mehr als 3 Prozent der Stromerzeugung ausmachen könnte. Der Verband der Deutschen Elektrizitätswirtschaft und auch viele Energieversorger haben das aggressiv vertreten. Dann kam das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 und damit fing es an, dass der Strom grün wurde. Also dann kamen die ersten PV-Anlagen, ein 100.000 Dächerprogramm, Windenergie wurde ausgebaut. Windenergie ist in den 90er-Jahren in Dänemark ausgebaut worden, weil eine Einspeisevergütung von 85 Prozent hat man bezogen auf den Strompreis in Dänemark. Deswegen wurden dort die Windräder gebaut, in Deutschland war nichts. Und mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz wurde Einspeisevergütung angepasst und dann fing das auch bei uns an. Und, na ja, jetzt sind wir immerhin bei 60 Prozent Anteil an der Stromerzeugung, was ja nicht schlecht ist. Und vor allem bei dem jetzigen Ausbautempo, was ja wirklich zugelegt hat in den letzten zwei Jahren, wird es jetzt auch spürbar sein, dass die Anteile Jahr für Jahr zunehmen werden.
Klaus Reichert: Du hast ja auch schon gesagt, dass es eben auch sehr stark mit den Kosten zu tun hat, das sind einfach niedrigere Erzeugungskosten. Das ist auch wieder etwas, was eigentlich vollkommen auf der Hand liegen könnte. Gleichzeitig heißt es aber eben, ja, das sind eben, ich meine, jetzt grün-parteiliche Themen und schon wird das quasi instrumentalisiert und dagegen gearbeitet. Also zum Teil auch mit eigenartigen Mitteln in Bayern und, und, und, ja, also das ist ja schon, schon sehr schräg was da passiert. Auf der anderen Seite sieht man dann wieder Bilder von irgendwelchen texanischen Ranchern, die Republikaner wählen und das aber für sich erkannt haben, dass sie eben auf ihrem Land mit Windanlagen extrem gut Geld verdienen können. Also das ganze Thema hat irgendwie auch gespalten.
Dieter Seifried: Ja, das ist sicherlich so, also Spaltung. Also hat sicherlich einige Wähler in Richtung A*D getrieben, es hat weiteres Spaltpotenzial. Und allem hat es jetzt das Potenzial, die Richtung in der Energiepolitik bei der nächsten Wahl etwas zu ändern, weil eben die Mehr von teuren Strompreisen, was heißt mehr, wir haben tatsächlich Strompreise, die sind jetzt nicht sonderlich günstig, sind aber auch nicht besonders hoch, sondern wir liegen da im Mittelfeld oder im unteren Mittelfeld. Was wir feststellen können ist, dass die Strompreise von Solar und die Stromkosten von PV und Windenergie absinken, immer noch absinken, aber natürlich die Netzausbaukosten zugenommen haben und die Redispatchkosten zugenommen haben. Das heißt, wenn jetzt die Sonne nicht erwartungsgemäß scheint oder der Wind schwächer ist als erwartet, dann muss eben die Kraftwerkseinsatzplanung entsprechend angepasst werden, was zu zusätzlichen Kosten führt. Also wir dürfen nicht glauben, das ist vielleicht auch ein Fehler in der Kommunikation, wir dürfen nicht glauben, dass mit den geringeren PV- und Windkraftkosten die Strompreise nach unten gehen, sondern die Strompreise werden sich erhöhen. Zwar ist es, je nachdem, schwer zu sagen, hängt auch von den Abgaben ab, die drauf sind, aber wir dürfen nicht damit rechnen, dass die Strompreise jetzt in den Keller fallen, weil Solarenergie nichts kostet. Es gibt ja Leute, die sagen, es kostet nichts.
Klaus Reichert: Ja, die Anlage, die fällt vom Himmel aufs Dach zum Beispiel.
Dieter Seifried: Genau, „die Sonne schickt keine Rechnung“, hat ja Franz Alt immer gesagt. Ist richtig, aber die Anlage muss gebaut werden, muss gewartet werden und von daher muss jemand die Rechnung bezahlen. Aber entscheidend ist ja nicht nur das, was die einzelne Anlage produziert und kostet, sondern was das Gesamtsystem an Kosten verursacht.
Klaus Reichert: Da sind wir so ein bisschen wieder bei diesem Thema Komplexität, das ist zum Teil sehr schwer zu verstehen. So Sachen wie dieses Merit-Order-Prinzip zum Beispiel ist vielleicht auch nicht ganz so nachvollziehbar. Aber ich habe den Eindruck, das erledigt sich eh von selbst, je weniger teure Kraftwerke wir in diesem ganzen Konzept, in diesem ganzen Konstrukt auch haben werden.
Dieter Seifried: Ja, aber gerade weil es immer noch das Merit-Order-Prinzip gibt, wird eben der Preis an der Börse durch das letzte Kraftwerk, durch das teuerste Kraftwerk bestimmt, wird in Zukunft Erdgas oder in weiteren zehn Jahren dann Wasserstoff sein. Und das wird die Sache nicht billig machen, sondern Erdgas wird teuer sein, weil die CO₂-Preise entsprechend hoch sind und Wasserstoff ist einfach in der Erzeugung teuer. Von daher werden, wenn wir dieses Prinzip beibehalten, auch in Zukunft die Strompreise jetzt nicht in den Boden fallen.
Klaus Reichert: Außer, ich habe die eigene Anlage auf meinem eigenen Dach und kann sozusagen den Strom selber verbrauchen, dann habe ich in die Anlage investiert. Aber zum Beispiel, wenn ich ein Elektroauto habe, kann ich es da ja dann auch sehr intensiv nutzen, was ich selber produziere.
Dieter Seifried: Ja, aber auch das ist wiederum ein Punkt, der die Kosten für die Verbraucher in die Höhe treibt, die keine eigene Solaranlage haben. Weil dadurch, dass ich meinen eigenen Strom produziere, zahle ich weniger Beiträge an die Netzbetreiber, ich habe weniger Kilowattstunden, muss ich weniger Netzkosten mittragen. Das heißt, die Netzkosten werden auf weniger Kunden umgelegt und damit erhöhen sich wiederum die spezifischen Netzkosten.
Klaus Reichert: Verstanden. Also wahnsinnig aufwendig, wenn man mal so guckt, die Abhängigkeiten sind enorm. Manchmal habe ich den Eindruck, man müsste das viel, viel besser noch erklären, erklären können und vor allem aus diesem Politischen eben herausnehmen, damit man es besser versteht. Was ich jetzt vielleicht noch so als Rückblick da habe ist, ihr habt damals ja auch ziemlich viel gerechnet und gemacht und schon allein die Grafiken, die dann im Buch drin sind, die sind ja nicht mit Excel erzeugt, das habt ihr irgendwie, ich sage mal, von Hand gezeichnet oder was weiß ich, ein Grafiker gemacht. Ich lese dann auch, es gab sehr viel Unterstützung in der Textverarbeitung. Das ist bei so einem großen Buch mit mehreren Autoren, ist das ja auch dann sehr, sehr aufwendig, wenn man nicht einfach ein geshartes Dokument heute in Google oder in Office irgendwie hat. Wie habt ihr das damals gemacht zum Beispiel mit diesen großen Rechnungen, die ihr angestellt habt, mit den Vorausschauen und so weiter? Das hört sich für mich so im Nachhinein etwas wie eine richtig große Herkules-Aufgabe auch an.
Dieter Seifried: Na ja, wir hatten zwar kein Excel, aber damals gab es ein anderes Programm. Rechnen konnte man schon, also wir haben schon alle Rechnungen im Computer gemacht, dass schon, aber die Berichte haben wir zum Teil am Anfang noch mit der Schreibmaschine geschrieben oder diktiert, Schreibmaschine, korrigiert, nochmal Schreibmaschine, und erst in der zweiten Phase des Projektes sind wir dann auf Computer umgestiegen. Es gab im Öko-Institut mal einen Beschluss zu Beginn, dass Computer nicht zulässig sind, weil sie ja Arbeitsplätze vernichten.
Klaus Reichert: Okay, ja.
Dieter Seifried: Hat aber nicht lange gehalten.
Klaus Reichert: Ja, spannend. Auch erstaunlich, wie sich die Sachen dann so mit der Zeit drehen, diese Blickwinkel auf ein Thema dann. Heute kann man gut und gerne eben so Sachen dann gemeinsam sogar schreiben. am selben Manuskript arbeiten, ohne dass man laufend irgendwelche Versionen hin und her schickt. Also da hat sich ja auch viel verändert. Dieter, am Anfang hast du gesagt, dass Energieeffizienz ein großes Thema ist oder ein großes Thema war in den Energiewende-Büchern, wenn ich auf die Autos gucke, da ist es so, dass das Thema Energieeffizienz zwar grundsätzlich eine Rolle spielt, aber der Weg ist nicht wirklich eingeschlagen worden. Wenn man das konsequent gemacht hätte bei Autos, dann würden wir alle vielleicht mit einem Liter irgendwie herumfahren und hätten trotzdem quasi den gleichen Komfort. Also was ich damit sagen will, es wurde eher in Leistung investiert anstatt in Energieeffizienz. Wie ist das in den anderen Themen, wie siehst du das da, war das erfolgreich, dieser Ansatz?
Dieter Seifried: Energieeffizienz, würde ich sagen, war jetzt nicht das erste Ziel der Energieversorger, weder der großen Stromversorger in den 80er-, 90er-Jahren, noch der kommunalen Stromversorger. Sondern die Effizienz kam eher von der Verbraucherseite, von der Technikseite her, von den Produzenten von effizienten Produkten, die einfach effizientere Sachen auf den Markt gebracht haben. Und, was man vielleicht auch nicht ganz vergessen darf, ist, dass CEU hat sich um Effizienz gekümmert. Also praktisch im Austausch oder als Kompensation für die Liberalisierung des Marktes hat die EU auch beschlossen, Energieeffizienz voranzubringen und hat zum Teil auch Gesetze erlassen, um die Energieversorgungsunternehmen zu zwingen, Effizienz bei ihren Kunden umzusetzen. Was in anderen Ländern verstärkt gemacht wurde, in Deutschland aber recht wenig. Aber die EU hat insbesondere Ökodesignrichtlinien erlassen, indem sie vorgegeben hat, wie effizient Haushaltsgeräte sein müssen. Also ihr kennt vielleicht das Label, was die Effizienz von Haushaltsgeräten anzeigt von A bis G, oder zwischenzeitlich war es dann A+, A++. Dieses Label war verknüpft damit, dass schlechte Geräte vom Markt genommen wurden innerhalb der EU, also durften nicht im Markt zugelassen werden und auf der anderen Seite wurden die effizientesten Geräte zum Teil auch bezuschusst beziehungsweise ausgezeichnet, sodass es eine Marktverschiebung von schlechten zu guten Geräten gegeben hat. Das hat sehr viel bewirkt in der EU, es hat hohe Einsparungen gebracht, sodass praktisch die ganzen Zusatzanwendungen, die wir im Strombereich haben, kompensiert wurden durch die Einsparungen bei den Geräten. Also wir haben schon seit vielen Jahren keinen Zuwachs mehr beim Stromverbrauch der Haushalte, sondern eher leichte Abnahme. Und der Zuwachs ist eben entstanden durch größere Kühltruhen, größere Kühlschränke, größere Fernseher, stärkere Computer oder mehr Anwendungen, gleichzeitig wurden aber die Haushaltsgeräte insgesamt deutlich effizienter. Also nur mal ein Beispiel Energiewende, Anfang der 80er-Jahre war der Stromverbrauch eines Haushalts bei uns noch 350 bis 400 Kilowattstunden. Heute können wir auf dem Markt Kühlschränke kaufen, die zwischen 60 und 70 Kilowattstunden pro Jahr benötigen, also Faktor 4 weniger.
Klaus Reichert: Faktor 4, da sind wir schon wieder beim nächsten Buch natürlich, dass das sehr viel auch gebracht hat. Aber das heißt, du würdest schon sagen, dieses Thema Energieeffizienz hat sich vor allem durch diese EU-Richtlinien und auch durch Orientierungshilfen für den Verbraucher, für die Verbraucherin eben schon bewährt, das ist sozusagen echte Realität geworden?
Dieter Seifried: Ja, sicher, ja, kann man so sagen. Und auch im Bereich Industrie, Gewerbe hat sich viel getan durch steigende Strompreise. Die Strompreise waren ja sehr niedrig Anfang der 2000er Jahre, haben dann aber doch angezogen, nachdem die Konkurrenz innerhalb des Marktes stärker wurde. Und das hat auch dazu geführt, dass in der Industrie die Effizienzpotenziale stärker genutzt werden.
Klaus Reichert: Also ich erinnere mich auch gerade an einige Programme hier in Baden-Württemberg, wo eben auch Abwärme viel besser quasi angegangen wird und dagegen vorgegangen wird, dass es das eben in Unternehmen nicht mehr gibt. Ich habe es nie verstanden, warum sich ein Prinzip gerade bei Kraftwerken durchgesetzt hat, dass ein Großteil der Energie, die man eingesetzt hat, einfach so weggeworfen hat. Also ich meine jetzt diese Kohlekraftwerke, wo Dampf natürlich über Turbinen drüber ging, einen Generator angetrieben haben, aber wo durch diese großen Kühltürme, ich weiß nicht, wie viel Prozent, 60 Prozent oder sowas der ursprünglichen Energie einfach erstmal wieder verpufft ist. Kannst du mir das erklären, warum sich so ein Prinzip, so ein im Grunde ineffizientes Prinzip durchgesetzt hat?
Dieter Seifried: Zunächst mal, Stromversorger waren für die Stromversorgung zuständig, die haben Strom produziert und haben den verkauft. So und jetzt, wenn man die Wärme nutzen will, braucht man entsprechende Leitungen in die Städte, Kommunen, die aber in der Regel weit weg waren. Weil die Kohlekraftwerke wurden ja dort gebaut, wo die Kohle abgebaut wurde, Braunkohle und von daher waren dann entsprechende Wege zu den Kommunen entsprechend lang. Zudem brauchte man ja immer eine bestimmte Anzahl von Kunden, damit es sich überhaupt lohnt, die zu versorgen. Das heißt, es muss jemand planen, aufbauen, muss das jemand anleiern und die Stromversorger hatten das nicht nötig, die haben ihren Strom verkauft, und für die war Abwärme eben nutzlose Wärme, die man am einfachsten über den Kühlturm weggebracht hat. Und erst durch die dezentrale Stromerzeugung wurde dann das Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung richtig umgesetzt.
Klaus Reichert: Also diese ursprüngliche Energie, eben die Kohle, die war viel zu billig im Vergleich zu allem anderen, was man eben vielleicht an Transportkosten oder sowas hatte und dann hat man halt gesagt, okay, egal, werfen wir halt weg, diese Energie.
Dieter Seifried: Ja.
Klaus Reichert: Ja, Dieter, die Bücher, „Die Energiewende ist möglich“, das ist jetzt schon eine ganz schön lange Zeit her. Das war ein langer Weg, den ihr mit ausgelöst habt, da sind ja verschiedene Länder auch unterschiedliche Wege gegangen. Du hast vorhin das Beispiel Dänemark genannt, da wurde sehr viel schon gemacht. Da ist Windkraft sehr, sehr weit verbreitet. Gut, die haben natürlich auch sehr viel mehr schöne Plätze für wirklich guten Wind, aber die haben das sehr, sehr konsequent auch angegangen. In Deutschland ist viel passiert, das haben wir jetzt auch in der letzten Zeit in unserem Gespräch gehört. Das Thema ist jetzt schon lange in der Welt. Lovins hat als Thema 50 Jahre in der Zukunft gehabt. Das ist ungefähr jetzt, 2025, 2030, so diesen Horizont hattet ihr dann auch. Es hat sich da viel getan und es wird noch sehr, sehr viel mehr notwendig sein. Es müssen sich viele Leute reinhängen, wir müssen noch viel investieren, müssen noch viel dafür tun, wahrscheinlich auch immer noch sehr, sehr viel kommunizieren und Menschen mitnehmen, das ist ein sehr, sehr langfristiges Projekt, der Benefit wird vielleicht erst später wirklich deutlich. Wenn du da aber so zurückguckst und auf die heutige Situation schaust beziehungsweise vielleicht auch ein Stück weit in die Zukunft, bist du zufrieden mit dem Stand der Energiewende, wenn du guckst, was ihr euch damals erhofft habt am Anfang von dieser Bewegung? Und wenn nicht so sehr, wann wärst du denn zum Beispiel zufrieden oder was müsste dafür noch eintreten?
Dieter Seifried: Also was ich damals gedacht habe, weiß ich heute nicht mehr.
Klaus Reichert: Das habt ihr geschrieben.
Dieter Seifried: Ja, da hatte ich schon Vorstellungen, dass sich das ändern muss, aber ich glaube, es war uns auch schon ein bisschen klar, dass nicht alles nach Plan laufen wird. So eine Transformation, eine vollständige Transformation des Energiesystems kann man nicht nach Plan machen. Sondern was wir gemacht haben, ist auch geschaut, was haben die anderswo gemacht, kann man das Gute übernehmen? Hier eingefordert, versucht, mit den Parteien zusammen, damals hauptsächlich mit den Grünen, die Sachen anzugehen, möglichst praktisch umzusetzen. Ich habe auch versucht, anhand von konkreten praktischen Beispielen zu zeigen, es geht, es ist machbar. Und das macht dann ein Stück weit zufrieden, wenn man sieht, aha, es ist gelungen. Wir haben ein Projekt gemacht, wo wir so und so viele Kilowattstunden oder Tonnen CO₂ eingespart haben und es ist sogar noch wirtschaftlich vorteilhaft gewesen für alle Beteiligten. Das ist ein gutes Gefühl. Und wenn ich heute nach vorne gucke, habe ich ein gutes Gefühl, dass wir auf einem guten Weg sind, aber ich sehe auch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, die auf uns zukommen, es weiterhin viele Widerstände zu überwinden gibt. Aber am Ende wird es nicht aufzuhalten sein, weil Klimaveränderung ist auch nicht aufzuhalten und sie wird von Jahr zu Jahr deutlicher werden. Die Leute werden erkennen, dass wir was machen müssen. Staatsverträge, die uns verpflichten, das zu tun. Unsere Bundesrichter hat ja die Bundesregierung verpflichtet, mehr zu machen zum Schutz der zukünftigen Generation. Das heißt, hier wird Druck auch von der Seite kommen. Ich glaube auch, dass die jungen Generationen weiter Druck machen werden, damit der Ausbau der Erneuerbaren vorangeht und die CO₂-Emissionen gesenkt werden. Also ich bin guter Hoffnung, dass es gelingen wird, aber es wird ein ständiger Kampf sein. Es ist kein Zuckerschlecken oder es ist kein Selbstläufer, sondern es muss erkämpft werden.
Klaus Reichert: Vernunft, frei nach Goethe. Wie hältst du es mit der Vernunft?
Dieter Seifried: Diese Frage verstehe ich jetzt nicht im Hinblick auf die Energiewende.
Klaus Reichert: Ich habe mich gerade gefragt, wir reden ja eigentlich von ganz normalen Dingen, die man sofort nachvollziehen kann, wenn man nur vernünftig darüber nachdenkt. Und es gibt so viele Bestrebungen, die so unvernünftig in dem Zusammenhang sind. Also das heißt, wir müssen auf die Vernunft bauen.
Dieter Seifried: Ja, zum Teil auf Vernunft, aber ich würde auch sehr viel auf einerseits Anreize, noch andererseits Ordnungspolitik bauen. Wir haben festgestellt, Vernunft alleine wirkt nicht. Wenn wir als Beispiel nehmen, Sicherheitsgurt im Auto, wäre ja für jeden vernünftig gewesen, einen Sicherheitsgurt anzulegen ohne Gesetz, hat aber nicht funktioniert. Über Ordnungspolitik haben wir es aber geschafft, dass heute praktisch alle Gurt tragen und jeder sich unwohl fühlt, wenn er keinen Gurt anhat. Es war nie vernünftig zu rauchen, trotzdem macht es, ich weiß es nicht, die Hälfte der Bevölkerung. Immerhin, jetzt konnte geschafft werden über Ordnungspolitik, die Raucher aus den Kneipen, aus öffentlichen Räumen zu halten. Also Vernunft ist zwar eine Begabung des Menschen, aber sie ist nicht so stark, dass sie immer zum richtigen Ergebnis führt, von daher braucht es ein bisschen mehr.
Klaus Reichert: Vielen Dank, dass du uns einen Einblick in die Entstehung auch der Energiewende heute gegeben hast. Vielen Dank für diesen Einsatz, dieses Angehen dieses Themas, diese anderen Blickwinkel auf das Thema Energie, das dann dazu geführt hat, dass tatsächlich ein Umdenken, ein Weiterentwickeln in diesem ganzen Umfeld stattgefunden hat. Danke, dass du heute mit dabei warst.
Dieter Seifried: Ich danke dir für das Gespräch. Und vielleicht dient es ja dazu, die Vernunft ein bisschen nach vorne zu bringen und sich dem Thema zu widmen.