Durch eine smarte Kombination existierender Mittelstandsförderprogramme lässt sich das Problem der mangelnden Ladeinfrastruktur für Elektroautos in Deutschland und der Masterplan Ladeinfrastruktur kurzfristig durch den Aufbau von Ladesäulen an mittelständischen Tankstellen stark reduzieren. Es sind dabei nur geringe Aufwände notwendig, da bestehende Infrastruktur genutzt werden kann. Die Finanzierung kann, wie andere Mittelstandsförderungsmaßnahmen in Deutschland und der EU auch, unkompliziert über z.B. ein zinsgünstiges öffentliches Angebot und BAFA-Beratungsförderung geschehen.
Situation
In Deutschland gibt es Ende 2016 ca. 14.000 Tankstellen. Diese sind überwiegend in der Hand großer Konzerne wie Shell und BP. Ca. 30% sind sogenannte freie Tankstellen und damit mittelständische Betriebe. Diese Tankstellen sind entlang der täglich notwendigen Wege entstanden, so dass Autofahrer z.B. auf dem Weg zur Arbeit nachtanken können, d.h. sie stehen an Stellen, die Teil des normalen Lebens sind und stark frequentiert werden. Tankstellen machen natürlich Umsatz mit dem Verkauf von Benzin und Diesel. Sie bieten aber eine Reihe weiterer Leistungen rund um das Auto und das tägliche Leben wie
- Autowäsche und Reinigung
- Reifendruckkontrolle, Batteriechecks, Waschwasser
- Verkauf von Autozubehör wie Scheibenwischer, Antifrostflüssigkeit
- Werkstattleistungen und Checks (Öl, Batterie, Wasser, Licht, Elektronik), Reparaturen, Wartungen, Hauptuntersuchung (HU/„TÜV“)
- Toiletten und teilweise Duschen
- Geldautomaten und Mautstationen
- Packstationen
- Kioskartikel wie Zeitschriften
- Verkauf von Lebensmitteln, Süssigkeiten, Snacks und Getränken, im Sommer von Eiswürfeln, Grillkohle und Grillgut
- Bistros mit warmem Essen, Kuchen und Kaffee
Vor allem mit den letzten beiden Punkten erzielen sie eine höhere Marge wie durch den Verkauf von Benzin und Diesel. In der Summe betrachtet haben Tankstellen einen Erlös-Mix aus auto- und menschenbezogenen Dienstleistungen:
- Energie
- Dienstleistungen
- Verkauf von Dingen des täglichen Bedarfs
Und das Ganze folgt einem Trend: „(Die Tankstellen) entwickeln sich mehr und mehr zu modernen Drive-in-Dienstleistungszentren mit angeschlossenem Supermarkt, teilweise auch mit einem Bistro.“ – Tendenz zunehmend, weitere Nutzungen sind also einfach denkbar.
Hinzu kommt, dass Tankstellen meist eine relativ große Zahl an Abstellplätzen haben für Kunden im Bistro, für die Reinigung der Fahrzeuge, zum Rangieren, zum Tanken. Und weil „Energie“ eben nicht nur „Benzin, Diesel und Erdgas“ sein muss, sondern auch „Strom“ sein kann, kam ich auf die Idee für diesen Beitrag.
Starten wir mit dem Laden
Im Herbst 2016 gab es 5.704 Ladestationen mit 16.038 Ladeanschlüssen in Deutschland (Quelle) erstaunlicherweise nur 2,3% davon waren an Tankstellen.
Die einfachsten Lademöglichkeiten für Elektroautos heute sind
- die haushaltsübliche Steckdose, mit relativ langen Ladezeiten von mehreren Stunden/über Nacht
- 20 KW Ladesäulen, mit verkürzten Ladezeiten von wenigen Stunden
- 50 KW Ladesäulen mit stark verkürzten Ladezeiten
- 150 KW+ Schnell-Ladesäulen, mit Ladezeiten von ca. 30 Min. bis zur Ladung von ca. 80% (wie z.B. bei Teslas und angekündigten neuen E-Autos von Mercedes etc.)
Diese Zeiten gelten jeweils bis zur Vollladung. Doch das Volladen ist bei einfachen und weit verbreiteten Nutzungszyklen tagsüber selten notwendig, vielfach reicht ein Nachladen. Der Preis der einzelnen Technologien steigt mit der zunehmenden Komplexität vor allem der Stromversorgung und des Platzbedarfs der Ladetechnologie und Anschlusses an das Stromnetz. So braucht eine 20 KW Ladesäule nicht mehr Platz als ihre Standfläche und ein Kabel an die Stromversorgung. Anders sieht es bei den Schnell-Ladesäulen aus, die zusätzlichen Platz für Netzinfrastruktur brauchen und einen „dicken“ Anschluss (man verzeihe mir den laienhaften Ausdruck).
Kurzes Fazit Ladesäulen
- es gibt zu wenige (das war der No-Brainer)
- es gibt eine Vielzahl an Ladestärken mit entsprechender Geschwindigkeit
- Elektrisches „Tanken“ = Laden ist immer an einen Aufenthalt gebunden, der heute noch länger ist als klassisches Tanken
- die Steckervielfalt nimmt ab, Standards verbreiten sich
- Meta-Abrechnungsdienstleister stehen am Start und reduzieren einerseits den Aufwand für den Ladesäulenanbieter und die Anzahl Zahlkarten im Geldbeutel der Elektroautofahrer und -fahrerinnen.
Elektroautos und ihre Reichweiten
Aktuell (Anfang 2017) gibt es noch eine geringe Auswahl E-Autos in Deutschland. Schauen wir nach China, ist das Angebot schon heute viel größer, allerdings in anderen Segmenten wie bei uns üblich. Alle großen Autohersteller haben aber mittlerweile ihre Elektroauto-Strategien stark ausgebaut und investieren kräftig: die Entwicklung nimmt Fahrt auf. Alle Autohersteller haben derzeit Elektro- und Hybrid Modelle in der Vorbereitung, so dass wir ab ca. 2018 mit einem relativ großen Angebot rechnen können. Prognosen von McKinsey zeigen, dass 2030 ein Antriebsmix von ca. einem Drittel Verbrennungsmotor, einem Drittel Hybrid und einem Drittel Elektromotor vorhanden sein wird.
Die Reichweiten der heutigen Elektrofahrzeuge liegen zwischen 80km (e-Smart 1. Generation) und 500 km (Tesla). Modelle wie der e-Golf, BMW i3, Nissan Leaf, Renault Zoe, Opel e-Ampera haben mittlerweile Reichweiten von 300 und mehr Kilometer.
Kurzes Fazit Elektroautos
- das Angebot an Elektroautos wird vielfältiger
- es entstehen Angebote auch im günstigen Bereich
- Reichweiten kommen in die gewohnten Bereiche, in denen sich Käufer „wohl“ fühlen, die sie diese von ihren Autos mit Verbrennungsmotoren kennen
- die Energiedichte der Batterien kommt noch nicht an die von Benzin heran, was die Fahrzeuge immer noch sehr schwer macht
- ab 2020 gibt es im Elektroautobereich den gewohnten Automarktmix aus großer Neuwagenauswahl, Jahreswagen, Leasingrückläufer, günstigere jüngere und ältere Gebrauchtwagen -> das E-Auto verlässt den „Early Adopter“ Bereich der Innovationsdiffusionskurve und wird Mainstream (die „Innovatoren“ Phase haben wir schon seit mind. 30 Jahren…).
Alle diese Elektroautofahrer werden dann kein Benzin mehr tanken. Brauchen aber ihre „Energie“, wollen den Reifendruck checken, das Auto waschen, müssen zur HU, wollen einen Snack oder Kaffee, kaufen das Nötigste ein auf dem Weg zur Arbeit. Und hier kommen die Tankstellen ins Spiel, verdienen sie doch gerade mit diesen Produkten ihr Einkommen. Ich möchte zwar auch die Argumentation unterstützen, dass gerade Supermarkt-Parkplätze und natürlich Parkhäuser prädestiniert sind für das Nachladen von E-Autos, weil gerade hier ein längerer Aufenthalt vorliegt und mit neuen und zukünftigen Ladetechniken wie die kabel- und berührungsfreie induktive Ladung zum Einsatz kommen können. Doch mindert dies nicht den Bedarf an den oben genannten auto- und fahrerbezogenen Dienstleistungen der Tankstellen, die ja noch auf Jahrzehnte Kraftstoffe, allerdings in abnehmendem Umfang, verkaufen werden. Der Verkauf von elektrischer Antriebsenergie, statt Benzin, ist einfach Teil des Kerngeschäfts. Dies wird klar, wenn man von „Energie“ oder „Kraftstoff“ spricht statt von, wie bisher üblich „Benzin“ oder „Diesel“. Es wird zudem noch deutlicher, wenn man die Umrüstungen der vergangenen Jahre von Benzin-Zapfsäulen hin zu Gas betrachtet. Absehbar werden wir auch zudem noch Wasserstoff-Tanksäulen bekommen, wobei mir hierzu keine Daten vorliegen.
Es ist also sehr im Interesse der Tankstellen Betreiber, sich hier zu entwickeln. Umso weniger verstehe ich, warum die „Großen“ noch nicht auf die Ladesäulenthematik angesprungen sind. Die Entscheidungswege in Konzernen sind ja meist länger. Die Betreiber der freien Tankstellen sind mittelständische Unternehmer mit einer oder mehreren Betrieben. Hier sind die Entscheidungswege KMU-typisch kurz. Der Bundesverband freier Tankstellen, die BFT vertritt dabei über 500 Unternehmer mit über 2.300 Betrieben.
Worum gehts für die freien Tankstellen?
Die Installation von Ladesäulen in Tankstellen
- ersetzt wegbrechendes Kerngeschäft (Benzin/Diesel aus den auto-bezogenen Leistungen)
- sichert den margenträchtigen Umsatz (alle menschen-bezogenen Leistungen)
Wenn also jede freie Tankstelle Ladestationen aufstellt, hat sich die Zahl der Stationen in Deutschland innerhalb kurzer Zeit um 50% erhöht. Geht man davon aus, dass dabei jeweils acht Ladeanschlüsse geschaffen werden, hätte sich die Zahl der Ladenschlüsse in Deutschland auf einen Schlag verdoppelt. Und zwar genau an den Orten, die für Menschen heute relevant sind: auf dem Weg zu ihrer Arbeit, zu ihren Freizeitstationen etc.
Förderung für Ladeinfrastruktur
EU-/Deutschland typisch helfen sogar Förderprogramme dabei, so aktuell das sehr beliebte Bundesprogramm zum Ausbau der Ladeinfrastruktur des zuständigen Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Mit diesem Programm soll die Ladeinfrastruktur mit bundesweit zusätzlich 15.000 Ladesäulen aufgebaut werden. Bis 2019 stehen dafür insgesamt 300 Mio. Euro zur Verfügung.
Ausreichen sollte das als Anreiz. Mit dem Einsatz von 1 EUR Förderkredit können ca. 2,6 EUR Gesamtinvestition entstehen. Durch die Fördersumme von 300 Mio. sind dies ca. 780 Mio. Gesamtinvestitionen, was z.B.
- ca. 13.000 50KW Doppelladesäulen (Stückpreis inkl. Bau/Installation ca. 60.000 EUR)
- ca. 150.000 22KW Doppelladesäulen (Stückpreis inkl. Bau/Installation von ca. 5.000 EUR)
entspricht.
Diese Vorleistungen würden die Verbreitung von Ladesäulen vereinfachen. Meiner Ansicht nach wäre ein Verband wie BFT im Bereich der Tankstellen ideal. Für andere Standorte könnte dies z.B. bei Supermärkten Edeka bzw. Rewe sein. Ziel ist die Reduktion von Unsicherheiten durch Standardisierung und Best Practice Beispielen:
- Erarbeiten von Musterplanungen, Musterkalkulationen und Ausschreibungstexte für die Installation und Betrieb der Ladesäulen
- Rahmenverträge und Sonderkonditionen bei den Herstellern und Abrechnungsdiensleistern
- Vorschlag von Fach-Beratern, Handwerker und ausführenden Baufirmen
Die Szene aufmischen – und damit das Angebot ergänzen – wird aber auch die US-Firma Charge-Point, an der sich gerade der Autobauer Daimler beteiligt hat und die in Europa investieren will.
Es gibt also interne Gründe und externe Anreize sowie eine zunehmende Zahl an Wettbewerber, die die Entwicklung beschleunigen werden. Das vielfach vorgebrachte Argument „wir verdienen am Verkauf von Strom zu wenig“ greift viel zu kurz, da schon heute an Tankstellen auch mit dem Verkauf von Benzin zu wenig verdient wird und die eigentlichen Margen in anderen Bereichen erzielt werden.
Zusammenfassung
Die natürlichen Ladeplätze für Elektroautos sind aktuell Orte, an denen das Fahrzeug sowieso steht. Dazu gehören eigene Garagen, Carports und Stellplätze, Parkplätze bei der Arbeit, Parkhäuser und Parkplätze z.B. an Bahnhöfen oder der Stadtmitte. bei Kinos, (Schnell-) Restaurants und Raststätten.
Mit zunehmender Reichweite der Elektroautos sinkt für die meisten Nutzer die Notwendigkeit, das Auto täglich zu laden, so dass auch urbane Wohnsituationen mit wechselnden Parkplätzen einfach meisterbar sind.
Eine schnelle Verdichtung der Ladeinfrastruktur ist, wie gezeigt, mit relativ geringem Aufwand einfach über eine Mittelstandsförderung derjenigen möglich, die sowieso ein Interesse daran haben, Energie zu verkaufen, den Tankstellen. Hier sind die freien Tankstellen ein guter Start, sie sind gut über den BFT organisiert und über die bereits weit verbreitete und politisch gewollte Mittelstandsförderung erreichbar. Diese können die Anzahl der Ladeanschlüsse in Deutschland innerhalb kurzer Zeit verdoppeln. Die Fördermittel sind da, die Ökonomie macht bei einer erweiterten Betrachtung Sinn.
Weitere Fördermöglichkeiten könnten mit den Standard-Mittelstandprogrammen der KfW-Bank geschehen, die ggf. nur geringfügig erweitert werden müssten, sowie durch die bewährte BAFA-Beratungsförderung.
Und wenn wir diese erste Phase der Elektromobilität geschafft haben, haben wir Energie für Visionen wie z.B. selbstfahrende Autos, die sich selbstständig ihre Parkplätze mit induktiver Ladung suchen.
Danke
Vielen Dank an Sascha Mattes und Timo Schneeweis für die Unterstützung bei der Vorbereitung.
Ursprünglich geschrieben 2017.
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