In der 48. Episode des Smart Innovation Podcast ist Dr. Alexander Fink von der ScMI Scenario Management International AG mein Gesprächspartner. Wir unterhalten uns über Szenarioentwicklung für Unternehmen und deren Verbindung zum Innovationsmanagement.
Wir unterhalten uns über Zukunft, und was Unternehmer und Unternehmerinnen machen können, um diese vorzubereiten. Und was man tun kann, auch Unvorhergesehenes einzubauen bzw. dabei besser mit Unsicherheit umzugehen. Ein wichtiges Thema dabei ist das Szenariomanagement.
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Transkript
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Klaus Reichert: Herzlich willkommen zum Smart-Innovation-Podcast. Mein Gesprächspartner heute ist Doktor Alexander Fink, er ist Gründungsinitiator und Vorstand der ScMI Scenario Management International AG in Paderborn. Wir unterhalten uns über Zukunft und was Unternehmer und Unternehmerinnen machen können, um diese vorzubereiten und was man tun kann, auch Unvorhergesehenes einzubauen beziehungsweise dabei besser mit Unsicherheit umzugehen. Herzlich willkommen, Alexander, schön dass du heute mit dabei bist.
Alexander Fink: Ja, Klaus, vielen Dank für die Einladung.
Klaus Reichert: Du, sag mal, wie wahrscheinlich ist es, dass in Deutschland das Büro eines Unternehmens durch einen Tornado zerstört wird?
Alexander Fink: Nachgerechnet haben wir das nicht, aber ich denke, die Wahrscheinlichkeit ist schon extrem gering. Auch wenn man nachschaut, hin und wieder gibt es eben tatsächlich die Tornados in Deutschland, aber meistens fliegen sie über irgendwelche Felder.
Klaus Reichert: Also das heißt, das war ein Fall, mit dem ihr nicht gerechnet habt?
Alexander Fink: Damit haben wir dann in der Tat nicht gerechnet. Wir haben Gott sei Dank an dem besagten Freitagmittag schon gesagt: „Wir verlagern uns alle in die Homeoffices“, sodass niemand im Büro war, toi, toi, toi, auf Holz geklopft. Aber wirklich, mit so etwas haben wir da nicht gerechnet.
Klaus Reichert: Wir müssen dazu sagen, euer Büro ist jetzt tatsächlich gerade von einem Tornado zerstört haben. Ihr habt zum Glück euch auch so aufgestellt, dass ihr nicht nur im Büro arbeiten könnt, sondern im Homeoffice, dass ihr da eine dezentrale Struktur eben hinbekommt, das hat euch sicher da auch gutgetan in dem Moment. Aber damit gerechnet hattet ihr sicher nicht, das war nicht in euren Vorhersagen oder in euren für die Zukunft mit enthalten?
Alexander Fink: Nein, es war, wie sagt man, ein schwarzer Schwan sozusagen.
Klaus Reichert: Sag mal, bevor wir uns da etwas vertiefen, du beschäftigst dich ja auch im Unternehmen mit vielfältigen Dingen rundum Zukunft herum. Da ist es dann immer wieder interessant, was der Hintergrund dieser Menschen ist. Welche Ausbildung hast du oder welche besonderen Dinge gibt es in deinem Lebensweg, die dich zu deiner jetzigen Aufgabe gebracht haben?
Alexander Fink: Also ich bin von der Ausbildung her, bin ich Wirtschaftsingenieur, also gefährliches Halbwissen im technischen und wirtschaftlichen Bereich, irgendwie so dazwischen. Und habe auch während des Studiums, parallel zum eigentlichen Studieren, so ein kleines Stadtmagazin hier in Paderborn rausgegeben, also war auch da auf mehreren Hochzeiten unterwegs sozusagen. Und zum Ende des Studiums hin haben wir dann mal geschaut, was könnten spannende Themen für Abschlussarbeiten sein und sind dann bei diesem Thema Szenario-Planung und Zukunftsplanung hängengeblieben. Wahrscheinlich weil wir in diesem Stadtmagazin immer schon von Trends und ähnlichen Dingen gesprochen und geschrieben hatten. Und, ja, das war dann ein so faszinierendes Thema, dass es über Promotion bis Unternehmensgründung mich jetzt die letzten 30 Jahre im Grunde genommen umtreibt.
Klaus Reichert: Ja, ihr macht das schon so seid Mitte, Ende der 90?
Alexander Fink: Ja.
Klaus Reichert: Das war ja dann auch so eine Zeit, wo man tatsächlich sich in Deutschland zumindest, sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt hat, was ist Zukunft, wie geht man methodisch damit um, da ist viel passiert eigentlich auch in dieser Zeit. Was meinst du, was war denn noch der Auslöser dafür, waren das so vielleicht diese Jahr-2000-Veränderungen, dieses Überlegen, die Welt geht unter, vielleicht und so weiter oder was war damals vielleicht der große Treiber, fällt dir da was ein?
Alexander Fink: Also ich glaube, das Faszinierende war, das Thema Zukunft auf der einen Seite und das Thema Strategie und Unternehmen auf der anderen Seite, noch gar nicht so dicht beieinanderlagen. Die Zukunftsforschung hat sich doch sehr stark aus dem sozialwissenschaftliche Bereich entwickelt, hat teilweise auch Berührungsängste gehabt gegenüber Unternehmen. Und andersrum war es auch so, dass viele in Unternehmen doch gesagt haben: „Was wollen die mit der Glaskugel, die interessieren uns im Grunde genommen nicht.“ Und das Spannende für mich, für uns war, diese beiden Bereiche viel enger zusammenzuführen. Was dann auch der Grund war, dass wir nicht einfach gesagt haben, das heißt weiter Szenario-Technik, so im Sinne einer Technik, wie man jetzt ein Szenario baut. Sondern wir haben es ja dann relativ früh auch als Szenario-Management bezeichnet, um einfach deutlich zu machen, es geht nicht nur darum, in die Zukunft zu schauen, sondern es geht im Grunde auch darum, wieder zurückzukommen in die Gegenwart, um da bessere Entscheidungen zu treffen. Deswegen vergleichen wir das häufig auch mit Fliegen. Also wir sagen, man steht am Anfang mit beiden Beinen auf dem Boden und dann kann man ganz viel analysieren, wo man steht, wie gut man steht. Und irgendwann, wenn ich mich robust aufstellen möchte, dann muss ich auch die Gegenwart mal verlassen, auch gedanklich und muss mich mit der Zukunft auseinandersetzen und da sagen wir immer: „Das ist wie Fliegen.“ Und dann gibt es beim Fliegen immer die zwei kritischen Phasen. Das eine ist der Start, ich muss also die Gegenwart verlassen. Ich muss überhaupt mal gedanklich bereit sein, mich von all den Erfahrungen, die ich habe, zu lösen und zu sagen, da könnte was anderes kommen und das könnte so oder so aussehen. Und das zweite ist halt die Landung. Das, wenn ich Erkenntnisse gewonnen habe, wie Zukunft aussehen könnte, dass ich mit diesen Erkenntnissen nicht einfach so glücklich werde, sondern dass ich natürlich wieder zurückkommen muss. Weil, die Entscheidung treffe ich im Hier und Heute und die müssen besser werden dadurch, dass ich in die Zukunft geguckt habe. Also das, finde ich, ist auch nach wie vor ein ganz spannendes Thema.
Klaus Reichert: Ja, da bin ich bei dir. Also das heißt, ihr habt diesem doch sehr Technischen damals, sehr technischen Betrachtungsweise, quasi etwas genommen beziehungsweise gegeben, indem ihr das soziale, menschliche Umsetzende dazu gebracht habt oder andersrum, ja, also kann man wahrscheinlich beide Richtungen dann. Und damit, okay, also auch vor allem in die Umsetzung das auch zu bringen, sodass man nicht nur Kuckuckshäuser, heißt das so, Haine baut, sondern tatsächlich auch versucht, das irgendwie in eine Umsetzung zu bringen, okay, verstanden.
Alexander Fink: Ja, es ist immer dieser Zweiklang aus dem Systemischen, Systematischen auf der einen Seite. Die eine sagen, ein bisschen Ingenieur-lastig, dass man systematisch entwickelt, wie könnte was zusammenhängen, das auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite brauche ich immer auch kreative Phasen und Phasen, in denen auch der Bauch eine Rolle mit spielt und wo sich Gruppen austauschen. Und insofern ist es jetzt weder ein ganz freischwingender Moderationsprozess, noch eine reine Algorithmik, sondern es kommt auf die richtige Kombination an, an welchen Stellen man von einem systematischen Vorgehen profitiert und an welchen Stellen man nun wirklich kreativ sein muss, weil ich das nicht in irgendwelchen Formeln ausdrücken kann.
Klaus Reichert: Und vor allem, wenn man eine Systematik hat, dann kann man ja auch sozusagen systematisch die Kreativität mit einbauen in die Systematik. Ja, okay, verstanden. Wir haben jetzt grade von Zukunft angefangen zu sprechen und über Zukunft nachzudenken, Zukunft zu überlegen, Zukunft zu planen, wie auch immer man das jetzt bezeichnen mag, da gibt es sehr viel, was man dann, ja, vielleicht sehen kann, wo man sagen kann, okay, wenn ich jetzt, ich sage mal, im Automobilbereich bin, dann weiß ich, dass es wahrscheinlich nach, was weiß ich, dem einen Modell eine Weiterentwicklung des Models kommt, vielleicht gibt es noch eine Abwandlung davon. Ja, so bestimmte Dinge, die kann man ja sicher tatsächlich auch überlegen oder auch erschließen, recht einfach erschließen. Da braucht man vielleicht nicht so wahnsinnig viel zusätzliche Methodik, über das, was in einem Unternehmen eben schon vorhanden ist. Wenn es jetzt aber darum geht, zum Beispiel Fragen zu stellen zu dem, was ist es eben noch nicht, wo sind wir noch nicht, was kommt denn da auf uns zu zum Beispiel an unterschiedlichsten neuen Kundenanforderungen oder, oder, oder, oder vielleicht auch an Dingen in der Welt? Da fehlen ja in vielen Unternehmen dann schon auch die Handwerkszeuge dazu, da seid ihr ja sozusagen diejenigen, die da mit einspringen und tatsächlich auch helfen und unterstützen können. Kannst du uns da ein Beispiel, wie ihr da so vorgeht, kannst du das kurz mal beschreiben, wie das ungefähr abläuft?
Alexander Fink: Der Punkt ist ja, wenn wir Szenarien entwickelt, geht es nicht darum, die eine Zukunft zu beschreiben, die man genau erwartet oder die man sich grade wünscht, sondern es geht darum, mehrere Zukünfte zu entwickeln. Und das macht man methodisch gesehen, in drei Schritten. Im ersten Schritt geht es darum, den gesamten Betrachtungsbereich, das kann jetzt ein Markt, ein Umfeld, eine Branche, ein Technologiefeld sein, zu verstehen, durch Faktoren zu beschreiben und aus den in der Regel vielen Faktoren, die einem im ersten Moment einfallen, dann die wichtigsten, die sogenannten Schlüsselfaktoren herauszuarbeiten. Auch wieder ein Beispiel, da kann man sich systematisch unterstützen lassen, aber am Ende ist es eine Bauchentscheidung eines Teams zu sagen, mit welchen Schlüsselfaktoren möchte ich denn arbeiten. Wir sagen immer, diese Schlüsselfaktoren sind so ein bisschen sowas wie unsere Fragen an die Zukunft, denn genau auf diese Fragen, auf diese Schlüsselfaktoren gibt es nachher in den Szenarien eine Antwort.
Klaus Reichert: Also nicht auf irgendwas Beliebiges, sondern eben auf Dinge, auf Fragen, die ich habe als Unternehmen, als Team im Unternehmen?
Alexander Fink: Genau. Wobei, ich komme gleich nochmal darauf, wir auch trennen müssen zwischen Umfeld und Unternehmen. Aber vielleicht, lass mich die zwei Schritte nochmal eben darstellen. Wenn ich jetzt diese Schlüsselfaktoren habe, dann mache ich mir im zweiten Schritt Gedanken, wie sich jeder einzelne Schlüsselfaktor in den kommenden Jahren entwickeln könnte. Also hier kommt genau dieses zukunftsoffene Denken ins Spiel, das ich überlegen muss, was ist vorstellbar. Und da muss man hin und wieder auch mal die beteiligten Personen davon abbringen, uns nur zu beschreiben, was sie glauben, wie es wird, weil wir ja genau die Alternativen auch auf den Tisch bekommen wollen. Also man muss sich von dem klassischen Prognosedenken genau an dieser Stelle lösen und muss mal über unterschiedliche Möglichkeiten nachdenken. Das macht übrigens enorm Spaß. Also das ist in der Regel auch der Schritt, wo wir so den ein oder anderen, der vielleicht im ersten Schritt noch sagt: „Mhm, mal gucken, was da rauskommt, ich bin da ein bisschen skeptisch“, aber genau in dem Moment sind die Beteiligten in der Regel mit Feuer und Flamme dabei, weil sie jetzt eine Möglichkeit haben, mal verschiedene Dinge mit einzubringen. Und dann hat man am Ende dieses zweiten Schritts für jeden Schlüsselfaktor, das sind vielleicht so 20 Stück, vier bis fünf Möglichkeiten. Also du kannst dir vorstellen, da ist ein breites Potpourri an unterschiedlichsten zukünftigen Entwicklungen diskutiert worden. Und der ein oder andere fragt sich auch, wo er jetzt hier rein geraten ist, weil da noch nicht so richtig Ordnung drin ist also. Und dafür gibt es dann den dritten Schritt, dass diese ganzen einzelnen Bausteine, die wir bis dahin entwickelt haben, dass die wieder kombiniert werden und zwar so, dass einerseits stimmige Szenarien entstehen, also plausible denkbare Zukunftsbilder, aber andererseits auch solche, die sich möglichst stark unterscheiden. Und das führt eben dazu, dass wir neben vielleicht Bildern, die man im ersten Moment sowieso schon erwartet, das auch andere vorkommen, auch solche, die man weniger erwartet oder die man sich weniger wünscht. Also wir versuchen wirklich so eine Art Landkarte der verschiedenen möglichen Zukünfte aufzuspannen. Und das ist jetzt für einen Podcast schwierig, wir versuchen das auch genau zu visualisieren. Also kann man sich wirklich wie so eine Landkarte vorstellen, dass man sagen kann, also in diese Richtung, da sind vielleicht eher die besonders automatisierten Szenarien und auf der anderen Seite sind vielleicht welche, wo Digitalisierung noch nicht so stark ist und dann kriegt man solche Hauptunterschiede. Also da, wo wir auf unserer Landkarte sonst immer wissen, hier ist Norden, da ist Süden und da ist Westen, da ist Osten, ist es bei der Zukunft nicht ganz so einfach, da gibt es mehr als zwei Himmelsrichtungen und die versucht man herauszuarbeiten. Das ist super spannend, gehört für mich auch immer so zu den spannendsten Punkten, was sind die Himmelsrichtungen in einem zukünftigen Umfeld vom Unternehmen XY?
Klaus Reichert: Jetzt sind wir da doch, wenn wir da jetzt mal die deutsche Sicht nehmen, ein deutsches Unternehmen, eigentlich ja relativ verwöhnt gewesen die letzten Jahrzehnte. Das heißt also, wir haben oder unsere Vorgänger, unser Väter, Mütter haben es geschafft, eine Welt zu erschaffen, in der ziemlich viel ziemlich gut läuft, sehr viel planbar ist, sehr viel vorhersehbar ist. Man wusste, dass die Lieferung kommt, wenn sie entsprechend avisiert worden ist. Das ging dann soweit, dass man Just-in-time-, Just-in-sequence-Produktion macht, wo dann quasi tatsächlich nur zwei Stunden vorher vielleicht gerade die Teile ankommen, ja. Also sozusagen, die Denkweise war so oder ist so, dass alles ja läuft. Jetzt kommen immer mehr Punkte dazu, heute merken wir, wo Veränderung notwendig wird, von außen sozusagen aufgedrückt, wo wir merken, das Globalisierung eben auch dann Probleme zum Beispiel aufwirft in Lieferketten und, und, und. Oder so Themen wie, ja Kriege, riesige Konflikte Auswirkungen haben in Bereichen, die wir nicht vorhergesagt haben oder nicht damit gerechnet haben. Das heißt also, wir haben plötzlich, nicht plötzlich, aber wir haben jetzt im Grunde eine etwas andere Situation, wir müssen uns grade da dran gewöhnen, dass immer mehr Unvorhergesehenes dazu kommt oder das es nicht so läuft, wie wir es uns vorgestellt hatten oder es gewohnt sind. Ist das in den Szenarien dann vielleicht bisher schon drin gewesen und was meinst du, wird sich da verändern, um das dann besser abbilden zu können, wenn man es überhaupt abbilden kann?
Alexander Fink: Ich glaube, dass das grade der Grund ist oder einer der zentralen Gründe ist, warum Unternehmen solche Szenarien entwickeln, weil sie eben nicht mehr eine einzige Zukunft im Blick haben, sondern weil sie mehrere verschiedene Möglichkeiten durchdenken müssen. Dieser Ansatz der Szenario-Planung, des Szenario-Managements, den gibt es ja auch schon eine ganze Zeit, also Unsicherheit oder Ungewissheit ist im Grunde genommen nichts Neues. Das gab es für Shell in den 90ern und 70ern auch schon. Aber, sie war nicht so stark, die Geschwindigkeit der Veränderung war nicht so hoch, die Vernetzung der verschiedenen Bereiche war nicht so groß. Wir sind heute vielfach von Dingen betroffen, die vielleicht gar nicht bei uns um die Ecke liegen, aber die sehr schnell Auswirkungen auf uns haben können. Und die Folgefrage ist, wie gehen wir dann damit um, also wie gehen wir wirklich mit Ungewissheit um? In Unternehmen haben wir, wenn man so will, zwei extreme Möglichkeiten, wir können uns dann auf ein solches Szenario wieder fokussieren und können sagen, das ist dann die Welt, auf der bauen wir unsere Strategien, unsere Technologieplanung, unsere Überlegungen auf, das eine Extrem. Das andere Extrem ist, wir versuchen möglichst vielen dieser Szenarien gerecht zu werden. Also man könnte salopp sagen, wir versuchen auf mehreren Hochzeiten zu tanzen. Und beides hat Vorteile, beides hat Nachteile. Wenn ich mich fokussiere, habe ich ein klares Planungsbild, aber wenn sich die Welt verändert, stehe ich unter Umständen völlig falsch da. Und wenn ich robust agiere, dann kann ich nicht komplett falschdastehen, aber ich bin langsam, ich muss viele Ressourcen einsetzen. Daher liegt die Lösung irgendwo dazwischen. Und wo sie dazwischenliegt, hängt wirklich davon ab, wie genau die Unsicherheit in unserem Umfeld, in meiner Branche, in meinem Markt ist. Und das versucht man herauszuarbeiten und dann entscheidet man sich für einen fokussierteren oder einen robusteren Ansatz.
Klaus Reichert: Mein Eindruck war eben, dass jetzt grade die letzten Jahre der Worst Case nie, nie, nie an etwas herangekommen ist, was wir jetzt grade erleben als Worst Cases. Also ist das jetzt deiner Beobachtung nach sozusagen, ist der Worst Case worster geworden in solchen Betrachtungen?
Alexander Fink: Bei Entwicklungen, sowohl der Klimawandel ist greifbarer geworden, wenn wir die Diskussionen Fridays for Future uns anschauen. Corona ist sozusagen in unser aller persönlichstes Umfeld hineingekommen und auch der Krieg in der Ukraine ist etwas, was von als viel näher empfunden wird als andere globale Konflikte, die es auch gegeben hat.
Klaus Reichert: Und immer noch gibt, ja.
Alexander Fink: Und immer noch gibt. Also es wird viel greifbarer, diese Ungewissheit, wir sind viel betroffener davon, was uns natürlich auch verdeutlicht, wie schwierig das ist, sich dann auf eine Zukunft zu fokussieren. Wir merken das jetzt bei dem Energiethema, also wo man sagt, natürlich hat es verschiedenste Szenarien und Überlegungen gegeben, aber in der praktischen Politik hat man sich eigentlich auf ein, ich hätte jetzt fast gesagt, best Case Szenario mehr oder weniger gestützt und hat gesagt, über den Rest wollen wir eigentlich gar nicht nachdenken. Und jetzt erleben wir, wie dramatisch das nach hinten losgehen kann.
Klaus Reichert: Also das heißt, das hast du ja vorhin auch schon angesprochen, ist nicht nur, dass wir das als, die Zukünfte sozusagen so aufbauen müssen, die Betrachtung, dass sie unterschiedlichste Ernsthaftigkeiten sozusagen haben, aber wir müssen auch bereit sein, dann tatsächlich uns damit auseinanderzusetzen und es auch in die Hand zu nehmen, umzusetzen, anzugehen, auf der einen Seite, also dass quasi auch dann etwas draus wird. Und auf der anderen Seite aber auch wahrscheinlich dafür sorgen, dass ein Unternehmen das schaffen kann, auch mit kurzfristigen Veränderungen dann leichter umzugehen, die passieren auf diesem Weg, ohne dass wir es jetzt vorher gesagt haben.
Alexander Fink: Es gibt immer mehrere Stufen oder Ebenen, auf denen man solches Zukunftsdenken und nachher auch Zukunftshandeln finden kann. Das eine ist, ich muss überhaupt erst mal bereit sein, über solche Alternativen nachzudenken. Also ich muss den Raum haben oder mir schaffen, damit ich in unterschiedlichste Möglichkeiten mal hineindenken kann, gegebenenfalls auch ein Stück auf Vorrat denken kann.
Klaus Reichert: Was meinst du mit Raum schaffen, wie würde es zum Beispiel konkret ausschauen?
Alexander Fink: Das heißt beispielsweise auch in einem Unternehmen solche Initiativen, solche Aktivitäten zu schaffen, durchzuführen, um zu sagen, wir denken mal über die Zukunft der Welt um unser Unternehmen herum in den kommenden zehn, 15 Jahren nach und wir denken auch so nach, dass wir verschiedene mögliche Entwicklungen zulassen. Also wenn dort der Vorstand, die Geschäftsführung sagt, liebe Leute, denkt mal über Zukunft nach, aber am Ende muss eigentlich das und das rauskommen, dann hilft das natürlich nicht, sondern es muss dann auch die Möglichkeit geben, dass da sehr kritische Szenarien rauskommen. Und im Grunde genommen muss, und das ist in der Regel ja auch so, dann eine Geschäftsführung auch genau das einfordern. Das ist ja der Mehrwert, den solche Szenarien auch schaffen, dass man erst mal sich von bekannten mentalen Modellen löst und mal sagt, was ist noch vorstellbar neben dem, mit dem wir alle rechnen? Und dann gibt es aber noch mindestens zwei weitere Ebenen, nämlich einmal die Frage, wie bewerte ich diese Szenarien? Also nimm mal an, wir haben jetzt fünf, sechs unterschiedliche Szenarien, dann sind die ja nicht alle gleichwertig für meine Entscheidung. Also es gibt womöglich welche, von denen ich aus heutiger Sicht sage, die sind wahrscheinlicher, die trafen eher ein und es gibt welche, die treffen nicht so stark ein, diese Bewertung muss ich vornehmen. Und im nächsten Schritt, und das ist die dritte Ebene, muss ich überlegen, wenn ich die Szenarien kenne und wenn ich die so bewertet habe, was für Entscheidungen treffe ich dann? Und mit all diesen Ebenen muss ich auf eine intelligente Art umgehen. Also es hilft gar nichts, wenn ich ein kritisches Szenario vorausgedacht habe, aber ich sage sofort danach, aber es wird sowieso nicht eintreten, weil es eine ganz geringe Wahrscheinlichkeit hat und damit lege ich es zur Seite. Und im Grunde genommen hilft es auch nichts, wenn ich sage, da ist ein kritisches Szenario und das wird schon irgendwie kommen, aber ich mache trotzdem die Augen zu und handeln nicht. Also auf all diesen Stufen muss man überlegen, wie kann man dafür sorgen, dass man wirklich sich mit Zukunft auseinandersetzt.
Klaus Reichert: Das heißt also, wenn ich mit dem Thema loslegen möchte, brauche ich natürlich ein gewisses, ja, ein gewisses Zeitkontingent, ich brauche natürlich den Impuls, der von jemanden kommen muss beziehungsweise getragen werden muss, der tatsächlich auch über Zeit und Ressourcen, Budgets entscheiden kann. Der quasi Ernsthaftigkeit in gewisser Weise einfordert, der keine Schönmalerei möchte, sondern vielfältigste Bilder sozusagen haben möchte. Und was da ja passiert ist, dass ich auf der einen Seite im Grunde mich auf den Weg mache, Chancen zu entdecken, aber auch Risiken aufdecken kann. Unter dem Aspekt ist es ja vielleicht, könnte es sich ja wieder rechnen, wenn ich sage, okay, hej, Risikomanagement muss ich ja auch machen und dann passt es wieder. Jetzt kommt man dann aber doch sehr schnell auf den Punkt, dass man auf der einen Seite, wenn man es richtig macht, sehr viele Diskussionen führt, also Austausch im Unternehmen, im Umfeld, mit anderen, mit Kunden vielleicht dann auch hat. Aber auf der anderen Seite vielleicht einfach sich auch zu früh mit irgendwas abfindet und dann zum Beispiel nicht diesen Fall mit einbezieht, dass irgendwas ganz, ganz Schwieriges da auf das Unternehmen zukommen könnte. Wie kann man sich davor vielleicht feien, wie kann man sich da ein bisschen stellen? Also guckt man dann einfach immer nur den schlechtesten und den besten Fall an oder wie geht das dann?
Alexander Fink: Lass uns das Bild von der Landkarte nochmal nehmen, also wenn die Szenarien wirklich so unsere Landkarte der Zukunft abbilden, dann sollten wir es ähnlich machen, wie man es, ich sage mal, früher mit Landkarten, heute vielleicht mit Navigationssystemen macht, man guckt immer wieder drauf, wenn man unterwegs ist und man stellt fest, wo ist man und wo will man hin und ist die Straße noch passierbar, die man eigentlich fahren möchte. Und wenn dann das Navi sagt, nee, Moment, da ist aber grade ein Stau zwischen Bielefeld und Hannover, dann nimmt man unter Umständen eine andere Route. Und so ähnlich kann man sich das auch bei Szenarien vorstellen, die Szenarien selbst, die spannen die Landkarte auf. Und die Landkarte, die bleibt auch eine längere Zeit bestehen, weil diese grundlegenden Szenarien sich nicht sofort verändern. Übrigens, die Meisten der angeblich so plötzlichen Ereignisse, die sind alle in Szenarien vorausgedacht worden, ob jetzt der 11. September oder die Finanzkrise oder die Wahl von Donald Trump. Also für all das gab es Szenarien, all das war auf Landkarten vorhanden. Wesentlich ist, ich muss die Landkarte benutzen und zwar nicht nur einmal, wenn ich sie entwickelt habe und dann wegwerfen, sondern ich muss sie eigentlich lesen, ich muss immer wieder gucken, entwickelt sich das so wie ich gedacht habe. Und das ist ein ganz spannendes Feld, mit dem wir uns auch seit einigen Jahren intensiver beschäftigen, diese Verfolgung von Szenarien oder ein Szenario-Monitoring oder eben eine Früherkennung, um gewisse, grade auch kritische Signale, früher zu sehen. Ist übrigens der zweite große Vorteil, den Szenarien haben, wenn ein Unternehmen oder eine Organisation sich überlegt, die Zukunft beobachten zu wollen, was wir eine Zukunft beobachtet man normalerweise? Normalerweise beobachtet man genau die Zukunft, die man erwartet. Und dann klopft man sich die ganze Zeit auf die Schulter, weil man ganz viele Signale erkennt, die uns darin bestätigen, dass es genauso werden wird. Das ist zwar verständlich, irgendwie auch menschlich, aber eigentlich nicht schlau. Schlau ist es, die kritischen Szenarien zu beobachten. Weil, das ist zwar unangenehmer, aber wenn ich für diese Szenarien frühzeitig Signale empfange und wenn diese Signale stärker werden, dann bin ich aufgefordert zu überlegen, ob ich zunächst mal meine Einstellung über die Zukunft und danach meine Strategie, meine Überlegungen verändern muss. Und das ist, glaube ich, das, was Unternehmen heute tun müssen, sie müssen einerseits eine Strategie, die sie haben, natürlich umsetzen, aber sie müssen auf der anderen Seite die kritischen Indikatoren für diese Strategie beobachten und damit ja so ein klein wenig die Strategie auch wieder infrage stellen. Also es ist ein bisschen, man muss ein bisschen schizophren sein, ein bisschen in unterschiedliche Richtungen gucken, aber ich glaube, das ist der einzige Weg, wie man heute erfolgreich sein kann. Also wenn ich nur eine Strategie, die kann ich super toll umsetzen, aber wenn es mit der Zeit von der richtigen zur falschen Strategie geworden ist, wiege ich mich einfach in falscher Sicherheit.
Klaus Reichert: Ja, da hatte ich grad einen schönen Spruch dazu gelesen, der ging ungefähr so, wenn ich am Ende von Verändern bin, dann bin ich am Ende. Ja, habe ich mir grad gedacht, im Grunde ist es an der Stelle genau das gleiche Spiel, du musst irgendwie langfristig handeln, aber dich mittel-, kurzfristig anpassen und verändern können, weiterentwickeln können. Und dazu ist euer Szenario-Management eine der Möglichkeiten, Langfristiges sozusagen in Kurzfristigkeit auch rein zubekommen.
Alexander Fink: Ja, ich denke, es ist heute ein Erfolgsfaktor, mit Ungewissheit auf eine intelligente Art umzugehen. Das heißt, für bestimmte Branchen und Felder ist der Umgang mit Ungewissheit anders als mit anderen. Also ein Startup wird vermutlich keine komplett robuste Strategie verfolgen, in dem es sich auf sieben verschiedene Szenarien gleichzeitig einlässt, sondern es muss fokussiert da agieren, muss dementsprechend ein anderes Risiko-Management haben. Ein Unternehmen, das global unterwegs ist und dessen Investitionen sehr langfristig sind, und das sieht man ja im Energiebereich zum Beispiel, das muss sich robuster aufstellen, das kann sich nicht auf einzelne Szenarien fokussieren in einer Welt, die von politischen, ökonomischen, technologischen Ungewissheiten geprägt ist, denen fällt dann eine zu fokussierte Strategie auf die Füße. Und in der Tendenz, denke ich, dass wir in den nächsten Jahren etwas mehr robuste Ansätze erleben werden oder das, was heute dann vielfach auch unter dem Begriff Resilienz läuft. Also die Diskussionen, die wir haben, dass die reine Ausrichtung auf Effizienz nicht mehr zielführend ist, das hat genau mit diesem Umgang mit Zukunft zu tun. Weil, die alleinige Fokussierung auf Effizienz ist ein fokussiertes Vorgehen und das funktioniert eben an vielen Stellen so nicht mehr. Und das wird uns heute angesichts der Nachrichtenlage sehr deutlich.
Klaus Reichert: Es geht eine Zeitlang gut und ist aber dann nicht flexibel genug, wenn es da ein Problem in der Kette irgendwo zum Beispiel gibt, ja.
Alexander Fink: Ja.
Klaus Reichert: Okay, verstanden. Du hast grade das Thema Intelligenz angesprochen, das ist wahrscheinlich ein sehr weites Thema. Jetzt haben wir da so eine Mischung, jemand, der sich mit diesem Thema Szenarien, Zukunft beschäftigt, der muss ja im Grunde intelligent, kreativ, gebildet sein, der muss irgendwie mit Daten umgehen können, mit Menschen, Diskussionen, Austausche moderieren können und, und, und, also wie so ein Supermensch fast schon sein. Diverse Tools bei der Hand haben, damit es auch funktioniert und, ja, eben mit Daten arbeiten. Noch was, habe ich was vergessen in der Liste?
Alexander Fink: Ist schon eine lange Liste. Ja, das ist so. Ich glaube, man muss viele Dinge zusammenbringen, wenn man solche Prozesse aufbauen oder unterstützen möchte. Wie ich eben schon gesagt habe, systematisches Denken auf der einen Seite, aber auch Kreativität, eine gewisse Strukturierung, aber eben auch die Empfindlichkeit dafür, wie eine Organisation die Zukunft sieht. Und es kommt auch in den Prozessen am Ende nicht darauf an, dass ich, dass wir als ScMI die Szenarien super toll finden, sondern es kommt drauf an, dass sie im Unternehmen oder bei den Partnern, mit denen wir arbeiten, dass sie dort akzeptiert, dass es deren Szenarien sind, weil dass die Akzeptanz erhöht und die Chance deutlich erhöht, dass dann mit diesen Szenarien auch weitergearbeitet wird. Was dann auch wieder dazu führt, dass wir auf die Frage, mit wem sollen wir denn diese Szenarien eigentlich entwickeln, gar nicht die Standardantwort geben, die der Großteil der Szenario-Planer weltweit geben würde, die sagen, ihr müsst auf alle Fälle erst mal ganz viel Externe befragen. Und unsere Erfahrung ist, dass so viel Zukunftswissen in einem Unternehmen vorhanden ist oder in einer Organisation, dass der Grundstock für einen solchen Prozess im Grunde dieses interne Zukunftswissen sein sollte, wenn man es intelligent erschließt. Also wenn man die Teams richtig zusammenstellt und wenn man dafür sorgt, dass die unterschiedlichen Personen auch bereit sind und in der Lage sind, diese unterschiedlichen Sichtweisen einzubringen. Wir denken doch alle über Zukunft nach und wir haben so viel Wissen, nur wir müssen die Barrieren überwinden, die uns daran hindern, zukunftsoffen zu denken, die uns sagen, ja, es wird schon genauso werden wie es war oder wie der Zukunftsforscher XY sagt oder wie mein Chef sagt, darüber müssen wir hinaus denken. Und dann kann ich das ergänzen mit Zukunftswissen von Kunden, von Externen, von Wissensträgern, aber der Grundstock, das ist unsere Erfahrung, ist das Wissen, was in der Organisation, im Unternehmen vorhanden ist.
Klaus Reichert: Jetzt aus der Geschäftsmodell- und Produktentwicklung sind mir die Non-Fokusgruppen auch viel lieber wie die Fokusgruppen, weil, das sind die Nichtnutzer des Produktes, die dann ganz andere Fragen stellen oder ganz andere Anforderungen haben, die dann wirklich eine Weiterentwicklung bringen können. Jetzt hast du aber etwas gesagt, wo ich finde, da gibt es einen gewissen Widerspruch, das Unternehmen muss zufrieden sein mit den Szenarien, die es selbst erstellt hat. Das würde ich voll unterschreiben, dann ist die Akzeptanz am höchsten und es dauert manchmal ein bisschen länger, das zu entwickeln, wenn man es so macht, aber die Akzeptanz ist höher, gleichzeitig riskiert man aber auch, dass, ich sage mal, das zu schwach ist, was da vielleicht entwickelt worden ist. Also das es nicht krass genug ist, das es nicht wirklich ein Szenario gibt, das weit genug weg ist, das es zum Beispiel zu anfordernd ist oder etwas, ja, sogar einfach die Leute vielleicht überbeansprucht, weil man da, wenn man es selber erstellt, auch vielleicht Angst davor hat, wie geht man damit dann um?
Alexander Fink: Das ist ein Stück die Rolle, die wir dann auch in diesen Prozessen spielen, genau, das abzuschätzen und zwar an verschiedenen Stellen. Die erste Stelle ist ja schon, wie weit gucke ich eigentlich in die Zukunft? Wo es ganz gut ist, wenn man einen Zukunftshorizont wählt, der so ein bisschen über der normalen Schmerzgrenze liegt. Also wo der ein oder andere sagt, können wir denn soweit denken? Also es geht jetzt nicht darum, 50 Jahre nach vorne zu gucken, aber so ein bisschen aus der Komfortzone rauszukommen.
Klaus Reichert: Okay, was wäre das dann, 25, zehn, fünf, ist natürlich unterschiedlich?
Alexander Fink: Das hängt von den Branchen ab. Also wir sind heute an dem Punkt, wo 2030 für uns als Szenario-Planer eher ein kürzerfristiger Horizont ist, während die meisten unserer Kunden, wenn sie in die Zukunft denken, mindestens auf 2035 gehen. Das ist gerade so an der Kante, wo wir das feststellen. Es gibt Fälle, wo wir auch 2030 haben, weil in einem Bereich, in einer Branche so viel Veränderung ist, das sie sagen, wenn wir mit 2035 kommen, dann verlieren wir die Hälfte, weil die sagen, das ist Spinnerei, dann kann man auch mit 2030 arbeiten und mit 2030 plus. Und wenn wir jetzt zu einem Raumfahrtkonzern gehen, dann sagt der, wir denken über 2060 nach und denkt sich gar nichts dabei, weil er halt Produktzyklen hat, die soweit sind, das, wenn er ein bisschen über die Schmerzgrenze hinweggehen will, dann ist der bei 2050, 2060. Also man kann keinen festen Zukunftshorizont nennen, sondern das muss man am Anfang mit dem Unternehmen, mit dem Kunden einfach herausarbeiten, was ist ein geeigneter Zukunftshorizont. Und inhaltlich gilt das für jede Diskussion auch, jeden einzelnen Schlüsselfaktor muss ich überlegen, was ist vorstellbarbar, was ist denkbar und was geht vielleicht auch so ein bisschen über das hinaus. Aber da reguliert sich so ein Team sehr stark selbst. Also es ist ganz häufig so, dass der eine in der Gruppe sagt, nee, darüber können wir aber jetzt, das ist ja ein bisschen sehr abwegig, so etwas noch als Möglichkeit mit einzubeziehen. Und dann kann man in 80 Prozent der Fälle davon ausgehen, dass ein anderer aufsteht und sagt, doch, doch, darüber sollten wir wirklich mal nachdenken, das ist zwar nicht hochwahrscheinlich, aber wir können das doch nicht ausschließen, das ist doch durchaus realistisch. Also, klar, wenn so einer nie aufsteht, dann sind wir als Moderatoren ein bisschen mehr gefragt, aber in den allermeisten Fällen, wenn man den Boden bereitet hat für dieses zukunftsoffene Denken, dann funktioniert das, dann läuft so eine Gruppe auch. Und das hängt Nichtmals davon ab, ob es ein großes oder ein kleines Unternehmen ist, das funktioniert sogar im mittelständischen Bereich.
Klaus Reichert: In so Visions- oder Strategiediskussionen, da frage ich häufig auch, Mensch, wie könnt ihr euch das in 50 Jahren vorstellen oder wie sieht das in 100 Jahren aus und da kommt immer erst mal so der Blick zurück, ja, das weiß ich nicht, keine Ahnung. Aber wenn ich einfach mal nur eine Vision versuche zu erarbeiten, dann kann ich das schon mal beschreiben, wie ich es denn gerne hätte. Und, klar, die Details sind dann sehr, sehr, sehr schwierig, aber die groben Züge kann ich schon irgendwie beschreiben. Du hast jetzt grade das Thema Mittelstand angesprochen, wie würde man, wenn wir uns jetzt ein Unternehmen vorstellen, ein KMU, 3.000 Mitarbeiter zum Beispiel, unterschiedlichste Sparten, so ein bisschen Automotive vielleicht, produzieren Systeme, Produkte, Teile, wo wäre denn da am besten so diese Diskussion angesiedelt, wer würde das quasi als Gegenstück zu euch machen, wer würde das denn im Unternehmen vorantreiben?
Alexander Fink: Man schaut natürlich im ersten Moment mal, was möchte das Unternehmen mit diesen Szenarien eigentlich erreichen? Also geht es um einen Strategieprozess, dann ist er sicherlich auf der Geschäftsführungsebene zunächst mal gut angesiedelt. Oder geht es im Innovationsbereich auch darum, neue Felder zu identifizieren, dann kann es sein, das es eben auch in einem Business-Developement-Bereich erst mal sauber aufgehoben ist, was nicht heißt, das andere da auch sich dran beteiligen, also das ist so eine erste Frage. Und die zweite Frage ist dann, was brauchen wir für Szenarien, welche Art von Szenarien brauchen wir, um genau das, sagen wir Strategie oder Innovation oder vielleicht noch einen Change-Prozess in einem Unternehmen zu unterstützen? Und da stellen sich dann wieder verschiedene Fragen. Denken wir über das Umfeld des Unternehmens nach, was in der Regel der Startpunkt ist? Und ist dieses Umfeld, ist das ein Umfeld oder gibt es vielleicht zwei oder drei Geschäftsbereiche, die relativ wenig miteinander zu tun haben, dann wird es schwierig, das in einem Satz von Szenarien abzubilden. Also wenn ein Unternehmen jetzt einerseits in der Automobilindustrie unterwegs ist und andererseits in der Pharmaindustrie, vielleicht auf Basis bestimmter Kompetenzen, die sie haben, dann können die ja nicht Szenarien mache für Automobil und Pharma zusammen, sondern dann machen die unter Umständen zwei getrennte Prozesse und müssen nachher strategisch überlegen, wie kann ich aus den beiden unterschiedlichen, sagen wir mal Ungewissheitsfeldern, nachher eine geeignete Strategie machen? Also das sind solche Fragen, die wir am Anfang erst mal sorgfältig diskutieren, ehe man ungestüm lossprintet, was man da auch gerne machen kann, also über Zukunft nachdenken ist super, also man könnte sofort in einen Workshop starten. Das fühlt sich in der Regel auch zunächst mal ganz gut an, weil man tatsächlich viele spannende Dinge in dem Workshop drin hat, nur irgendwann stößt man an den Punkt, wo man feststellt, wir haben irgendwie am Anfang das nicht richtig definiert oder der eine denkt jetzt, wir marschieren hier und der andere dahin. Also es macht schon Sinn, so einen Prozess am Anfang systematisch zu strukturieren, um erst mal zu wissen, in welche Richtung man möchte, aber danach macht es dann auch Spaß.
Klaus Reichert: Okay, also es ist erst mal mehr als dann ein Workshop, wir reden von etwas, was sich dann im Grunde auch etablieren muss. Das ist ein kontinuierlicher Prozess im Unternehmen selbst, mit Höhepunkten immer wieder, sagen wir mal, alle ein, zwei Jahre natürlich irgendwie größere Sachen und dann zwischendurch natürlich kleinere Events, Workshops, Maßnahmen und so weiter. Für den Podcast ist ja wichtig, dass man vom Zuhören ins Umsetzen kommt und wir haben jetzt schon einiges gehört, was man dann machen kann, um sozusagen dieses Arbeiten mit nicht nur dem Unvorhergesehenen, sondern auch mit dem vielleicht Möglichen eben starten zu können. Können wir das grad nochmal kurz zusammenfassen, was würdest du jetzt einem KMU zum Beispiel mitgeben, diesen Prozess zu starten? Bleiben wir einfach mal so 1.000, 2.000 Mitarbeitende, da ist es dann noch ein bisschen groß genug, es ist was anderes, wenn wir jetzt vielleicht nur 20 hätten. Aber es wäre natürlich gut, wir hätten da irgendwas, was uns da helfen könnte, da gibt es einfach sehr, sehr viele Unternehmen in der Größe. Erster Punkt war ja, tatsächlich mal bereit sein, darüber nachzudenken.
Alexander Fink: Ich denke, diese Bereitschaft, zukunftsoffen zu denken, also Ungewissheit zu akzeptieren, das hat noch gar nichts mit Methodik und schon gar nicht mit Software oder irgendwas zu tun, das ist erst mal wirklich, gedanklich sich einzugestehen, dass die Welt ungewiss ist und dass ich mich mit verschiedenen möglichen Entwicklungen auseinandersetzen muss. Wenn ich mit einem solchen Prozess starte, kann das durchaus heißen, dass ich mit einem einfachen Workshop mich mal an so ein Thema, zukunftsoffenes Denken, heranwage. Das ist jetzt noch nicht eine Szenario-Entwicklung, wie wir sie vielleicht in irgendwelchen Studien dann finden, aber es ist erst mal das Warmwerden mit Ungewissheit und das Erkennen, dass das nichts Schlimmes ist, wenn es mehr als eine Zukunft gibt, das man sich halt nur auf eine intelligente Art damit auseinandersetzen muss. Das kann auch bedeuten, dass man Szenarien nimmt, die es schon gibt. Also wir haben zum Beispiel im letzten Jahr die sogenannten New Global Scenarios entworfen, also Szenarien, die beschreiben, wie könnte sich die globale Landschaft ökonomisch, politisch eigentlich entwickeln? Und man kann solche Szenarien nehmen und kann die in einen Workshop einbringen und kann sich fragen, was würde denn ein Szenario X oder ein Szenario Y eigentlich für uns bedeuten?
Klaus Reichert: Also quasi andersrum draufzugehen, anzugehen?
Alexander Fink: Genau. Also da steht jetzt, das muss man natürlich wissen, da steht dann noch nicht konkret drin, was in meinem Marktumfeld geschieht, also es ist ein Stück allgemeiner, aber ich kann mit solchen allgemeineren Szenarien sehr gut in ein solches zukunftsoffenes Denken hinein starten. Und da gibt es Situationen, wo man feststellt, das reicht für uns erst mal, damit kommen wir klar, damit haben wir was angestoßen. Und es gibt andere Situationen, wo das Unternehmen sagt, das war ein spannender Start, aber jetzt müssen wir eigentlich auch mal konkret gucken, was könnte denn in meinem Segment passieren und wenn die Technologie sich doch nicht umsetzt, was heißt das eigentlich für uns? Und dann ist man sozusagen bei dem nächsten Schritt zu überlegen, wie kann das individuell bei uns eigentlich weitergehen?
Klaus Reichert: Okay. Wer treibt das dann im Unternehmen? Also wir können nicht alles auf die Geschäftsführung abladen, ja. Es heißt ja immer, ja, das ist geschäftsführungsrelevant, am Ende ist es aber so, dass es keine Geschäftsführung alles machen kann, also man sucht dann irgendjemanden. Du hast es schon grad angesprochen, vielleicht ein Business-Developement-Teil, eigentlich Innovationsmanagement, wir haben auch schon drüber gesprochen, wie so ein Mensch vielleicht gestrickt ist, nämlich so ein Supermensch. Gibt es da noch was zu ergänzen, was man sagen kann oder vielleicht Erfahrungen, wo ihr gesagt habt, Mensch, das ist jetzt in so einem mittelständischen Unternehmen ganz gut bei X aufgehoben?
Alexander Fink: Also das Interessante ist, dass tatsächlich häufig die Argumentation ist, dass das doch genau gut bei Frau sowieso oder Herrn sowieso aufgehoben ist. Also es ist häufig noch etwas, das sehr stark personalisiert ist, was in der Folge dann aber auch heißt, wenn Frau sowieso oder Herr sowieso dann weg sind, dann besteht auch immer die Gefahr, dass das Thema wieder versandet und weg ist. Das heißt, der Punkt, an den mehr und mehr Unternehmen auch kommen, ist der, wie kann ich das ein Stück institutionalisieren? Also wie kann ich dafür sorgen, dass das Zukunftswissen, was wir haben, auch erhalten bleibt und auch über eine Person XY hinweg für die Organisation verfügbar ist? Und das ist so eine Stelle, an der häufig stehen in Unternehmen. Also die großen Konzerne, die haben eigentlich weitestgehend solche Gruppen, die sich damit beschäftigen, häufig haben die allerdings auch nicht nur eine Gruppe, sondern mehrere an unterschiedlichen Stellen, die sich dann mit technologischer Zukunft oder mit Marktforschung und strategischer Marktforschung oder mit Business-Developement beschäftigen. Da ist dann eher wieder die Frage, wie führt man das zusammen? Und im mittelständischen Bereich, das hängt jetzt von der Definition des Begriffs Mittelstand natürlich ab, gibt es aber häufig auch Stellen, wo man sagt, im Bereich einer Assistenz der Geschäftsleitung oder einer Unternehmensentwicklung gibt es durchaus Personen oder kleinere Gruppen, die sich damit beschäftigen. Und es gibt ja auch die Möglichkeit, dass sich Unternehmen zusammentun, also das es solche Aktivitäten gibt, jetzt nicht bei jedem einzelnen Thema, aber das bei bestimmten Themen sich eben Unternehmen zusammentun und dann gemeinsam solche Zukunftsprojekte oder Szenario-Prozesse initiieren, durchführen, und dann bekommt man mit etwas weniger Ressourcen auch Wissen, dass man nutzen kann.
Klaus Reichert: Ja, ein guter und ein wichtiger Punkt, wenn man bereit ist, nicht nur sich mit dem Thema zu beschäftigen, sondern sich auch mit anderen, die einen vielleicht sogar ergänzen, dann damit zu beschäftigen, ja, okay.
Alexander Fink: Wir haben das festgestellt, wir haben vor einigen Jahren ein Projekt gemacht zur Zukunft der urbanen Mobilität und da war eben eine große Bandbreite von Unternehmen dabei, also von einem BMW-Motorrad über die Deutsche Bahn, über die MAN, über ein Innovationszentrum Niedersachsen, aber dann eine Rewe zum Beispiel. Also wo man sagt, eigentlich sind das Vertreter, die im Normalfall gar nicht über urbane Mobilität miteinander sprechen würden, aber genau das macht den Reiz solcher Prozesse aus, dass Diskussionen angestoßen und geführt werden, die man im Normalfall und im Tagtäglichen so nicht führen würde.
Klaus Reichert: Ich fand, es war heute eine sehr anschauliche Darstellung von einer Vorgehensweise, zuerst mal mit Zukunft zu arbeiten, aber natürlich auch dieses Thema Unvorhergesehenes oder Unsicheres eben mit einzubauen in dieses Thema. Und das erscheint mir jetzt immer mehr notwendig, nicht nur wegen der großen Veränderungen, die in der Welt grade sozusagen um uns herum mal wieder stattfinden. Das ist ja nix Neues, vor 100 Jahren gab es auch schon mal Elektrifizierung und, und, und, also die Industrialisierung war sicher auch nicht so einfach für die meisten Menschen. Aber wir lernen damit vielleicht auch umzugehen, uns dann leichter im Unternehmen an solche Dinge anpassen zu können. Und diese Verbindung, die habe ich persönlich jetzt eigentlich bisher noch gar nicht gemacht, zwischen dem Szenario-Management und dem Teil, bin aber froh, dass wir es heute angesprochen haben.
Alexander Fink: Da kommt vielleicht ein Punkt noch dazu, den wir bisher noch gar nicht so im Auge hatten, das ist die sogenannte Szenario-Kommunikation. Das heißt, Szenarien sind auch ein Kommunikationswerkzeug. Und jetzt kann ich die ganz systematisch entwickeln, aber dann muss ich mir überlegen, wie bereite ich sie auf, wie kommuniziere ich sie so, dass sie meine Zielgruppe erreicht? Und da ist wieder die spannende Frage, wer ist die Zielgruppe? Das kann eben die schon viel beschworene Geschäftsführung sein, weil die sich dann mit der Strategie beschäftigen möge, das kann ein erweiterter Führungskräftekreis sein, es kann auch die gesamte Mitarbeiterschaft sein, wenn ich eine Veränderung unterlegen möchte. Das kann auch ein Kundenkreis sein, weil ich mit dem über Zukunft sprechen möchte oder es kann die breite Öffentlichkeit sein, weil ich mein Thema in die Öffentlichkeit tragen möchte und weil ich vielleicht auch zeigen möchte, dass ich mich offen mit unterschiedlichen Möglichkeiten beschäftige. Also Kommunikation ist nochmal ein ganz wichtiger Punkt und dann natürlich die Frage, wie bereite ich es auf? Das muss nicht immer ein dröger Textfriedhof sein, in dem da ein Szenario aufbereitet wird, das kann auch eine spannende Story sein oder ein Podcast 2035 oder eine andere Visualisierung und das ist dann nochmal ein ganz spannendes Feld für solche Szenarien.
Klaus Reichert: Ich finde es toll, das du grade diese Bandbreite nochmal aufgezeigt hast, wer da beteiligt sein kann. Weil, ich versuche das auch deutlich zu machen, dass grade in diesen Innovationsthemen es notwendig ist, möglichst vielfältig, aus einem großen Kreis die Interessierten rauszufinden und die zusammenzubringen. Und erst dann, in diesem Austausch, nicht, weil einer oder eine immer die großen Lösungen hat, sondern weil es insgesamt durch den Austausch von vielen eben tatsächlich im Grunde die richtigen Sachen eben entstehen. Deswegen, vielen Dank nochmal, dass du es angesprochen hast, vielen Dank auch, dass du dir heute die Zeit genommen hast, Alexander. Und ich freue mich schon, ich habe heute einige Themen raus gehört, die wir vielleicht einfach in weiteren Episoden dann auch nochmal ansprechen können, aber erst mal vielen Dank, dass du heute dabei warst.
Alexander Fink: Sehr gerne, hat ganz viel Spaß gemacht.
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